Sullivan Fischer

Band I - ERPRESST,

by Eddy Cane


PROLOG

Irgendwo im Brasilianischen Regenwald – Drei Jahre zuvor

 

Körperlich böse geschunden und unfreiwillig auf Diät gesetzt, hockten wir nun schon seit Tagen in dieser abgefuckten Holzhütte. Mitten im Urwald und etliche Meilen entfernt von der Atlantikküste. Wie viele Meilen genau, wussten wir gar nicht. Die einst strahlend weiße Uniform hing nur noch in Fetzen an uns und von unseren Schuhen hatten sie uns auch schon befreit. Aber die letzte Nacht hatten wir doch nochmal überstanden. Ich allerdings besser als der alte Kapitän Hendricks, mein bisheriger Vorgesetzter und jetziger Mitgefangener. Dem ging es richtig dreckig; Er lag nur noch halb bewusstlos und reglos zusammengekauert neben mir auf dem Boden. Auf dem übelst versifften und harten Bretterboden.Lange hält der bestimmt nicht mehr durch, dachte ich, als ich jetzt doch ernsthaft besorgt auf ihn hinunterschaute. Allerdings, und da war ich mir sicher, warmeinEnde auch nicht viel weiter entfernt als seins. Also musste ich handeln. Und zwar bald. Die zwei Fenster der Hütte hatten unsere Freunde schön mit Holzbrettern vernagelt, und doch konnte man eigentlich durch die Spalten hindurch draußen so einiges erkennen. Allerdings nur, wenn es draußen hell war. War es jetzt aber nicht. Noch nicht. Mein Zeitgefühl sagte mir, dass es noch nicht mal fünf Uhr morgens war. Plötzlich spürte ich aber, dass sie kamen.

Und das noch bevor ich sie hörte. Draußen vor der Tür.

Da überkamen mich doch gleich wieder mehrere Gefühle auf einmal: Panik, betäubende Wut und ich muss zugeben, diesmal auch Angst. Aber heute war ich vorbereitet. Ich merkte, wie das Adrenalin jetzt heftig durch meine Adern schoss und sich mein ganzer Körper dabei kraftvoll anspannte. Fast musste ich schon grinsen, darüber, dass ich diese doch äußerst brenzliche Scheißsituation, jetzt sogar irgendwie genoss. Als wäre ich gerade voll in meinem Element. Komischer Typ, dachte ich über mich selbst. Vielleicht hatte ich ja auch nur Gelbfieber oder Malaria. Ach nee, dagegen war ich doch geimpft, oder nicht? Möglicherweise war ich auch einfach nur schon komplett durchgedreht, hatte meinen Verstand verloren, oder ich war von Natur aus schon ein völlig Wahnsinniger, der genau so einen Nervenkitzel wie den hier brauchte.

Da hoffte ich doch jetzt auf Letzteres.

Vielleicht lag es aber auch an den Drogen, die uns diese Schweine seit Tagen, kombiniert mit brutalen Prügeleinheiten, immer wieder schmerzhaft inkompetent in unsere Arme hineingejagt hatten. Was das genau für Drogen waren, wusste ich auch nicht. War vielleicht auch besser so.

Oh ja, dachte ich, das muss es sein, darum auch diese wirren Gedanken und mein dämliches Grinsen. Herrlich, jetzt war ich beruhigt.

Und dann ging alles rasend schnell; Die alte Barackentür wurde plötzlich ruckartig und laut knarrend von außen aufgestoßen. In diesem Moment hoffte ich nur, dass uns, wie an den Morgen zuvor, auch heute auch nur zwei von den Entführern zur netten Morgenandacht besuchen würden. Heute wohl aber mit der Absicht, unseren kalten Check-out aus diesem Drecksschuppen einzuleiten.

Die zwei schaffst du auch in diesem Zustand noch mit links, Sully, bleib cool, feuerte ich mich selbst noch einmal an. Bei dem Gedanken an die Waffen allerdings, die sie uns täglich stets stolz präsentiert hatten, drehte sich mir jetzt aber doch noch einmal der Magen um…

Es waren nur zwei.

Und die sahen zunächst nur Hendricks, als sie jetzt in der Tür standen und dieses dunkle Loch, indem sie uns seit fünf langen Tagen und Nächten gefangen hielten, wohl hektisch mit ihren Augen nach mir absuchten. Sehen konnten sie mich nicht, weil ich genau hinter der jetzt nach innen geöffneten Tür stand. Bewaffnet mit einem ca. ein Meter langen Holzbalken. Den hatte ich, nachdem ich mich und den Alten wie durch ein Wunder von unseren Fesseln hatte befreien können, in einer harten Nachtschicht, äußerst mühevoll aus dem Boden dieser Dreckshütte herausgebrochen. Hatte ewig gedauert. Hatte ja aber nichts Besseres vorgehabt.

Das Überraschungsmoment auf meiner Seite, sprang ich jetzt wildentschlossen hinter der Tür hervor und schmetterte dabei mit voller Wucht den alten Holzlappen auf den Kopf des Ersten der beiden nun Überraschten. Der warf mir vor Schreck gleich seine Halbautomatik entgegen und ging danach jämmerlich vor mir zu Boden. Einer weniger!

Sein Kollege hinter ihm, plötzlich erstarrt vor Staunen, und bestimmt auch auf Drogen, bekam dann ebenfalls von mir das jetzt blutverschmierte Holzteil über seine wirklich hässliche Visage gezogen. Dadurch brach einerseits mein Holzhammer in zwei Hälften und der nun endgültig Entstellte vor mir ebenfalls stöhnend zusammen. Zwei weniger!

Ich konnte mein Glück kaum fassen. Aber was hieß hier eigentlich Glück, das war ja wohl reines Können gewesen. Von mir selbst beeindruckt, grinste ich schon wieder. Dann fühlte ich Stolz, Genugtuung und Erleichterung zugleich.

Hielt aber leider nur kurz an.

Denn plötzlich hörte ich Stimmen. Von draußen vor der Hütte, irgendwo aus dem dichten Regenwald schallend, in den sie uns verschleppt hatten.

Ich ließ den halben Holzfetzen fallen, ergriff dafür die Waffe des zuerst Dahingerafften, lud sie noch einmal durch und hetzte dann zu Hendricks hinüber. Der hatte meinen filmreifen Auftritt gar nicht mitbekommen, blickte jetzt aber stöhnend zu mir auf.

Nicht grob, aber bestimmend packte ich seine Schultern und sagte: ``Hendricks, reißen Sie sich noch einmal zusammen, wir müssen hier verschwinden, sofort!  Können Sie aufstehen?``

Jetzt sah er mich mit weit geöffneten Augen an, erstellte wohl noch kurz eine Selbstdiagnose und erwiderte dann mit zitternder Stimme: ``Ich hab Dir doch das Du angeboten, mein Junge!`` Unglaublich, dachte ich, ist ja völlig verwirrt der Alte. Natürlich ohne darauf einzugehen, fuhr ich, zeitlich nun doch leicht unter Druck, fort: ``Ok, wenn Duuu kannst, dann stehe Duuu bitte jetzt auf!`` Jetzt lächelte er und versuchte sich tatsächlich langsam zu erheben; Gelang ihm aber nicht ganz. Ich musste ihn auf halbem Weg mit beiden Armen stützen, sonst wäre er gleich wieder nach hinten weggekippt. Shit, dachte ich, jetzt muss ich den alten Sack auch noch schleppen. Ihn hier zurückzulassen war natürlich keine Option, lag nicht in meiner Natur. Also schulterte ich jetzt den zum Glück recht Mageren mit links, hielt die Waffe mit meiner rechten Hand im Anschlag und bewegte mich so wieder auf die Tür zu. Dann hievte ich den Schlanken über die beiden hässlichen Türvorleger hinweg und machte vorsichtig mit ihm einen Schritt nach draußen. Sehen konnte ich dort kaum etwas, da sich jetzt auch noch dichter Sumpfnebel tief in den Wald gelegt hatte.

Mein Plan war, es bis zu dem alten Jeep zu schaffen, den ich gestern noch weiter rechts neben der Hütte gehört hatte und mit dem sie uns zuvor wohl auch vom Strand aus hierhergeschafft hatten. Und der hoffentlich auch noch da war. Ja und wenn dann der Schlüssel noch steckte…, gut, so viel Glück war wohl eher unrealistisch. Aber ich war ja Optimist, durch und durch. Als ich jetzt genau in die Richtung schaute, wo ich die Karre vermutete, sah ich aber zunächst etwas anderes. Ca. fünf Meter entfernt. Ich sah jemanden. Den Dritten, von den mindestens sechs Entführern, die sich bis heute so gastfreundlich bei uns vorgestellt hatten. Schon mit der Waffe auf uns zielend, zögerte der nun aber genau einen Moment zu viel, als er jetzt nur uns und nicht, wie wohl von ihm erwartet, uns mit seinen beiden Kollegen sah. Und ich tat, was getan werden musste; Ich schoss. Bevor er es tat. Und traf ihn. In die Brust.  

Drei weniger!

Dann wurde es chaotisch. Statt nur entfernte Stimmen, ertönten jetzt mehrere laute Rufe und sogar Schüsse, gefühlt aus allen Richtungen.

Ich begab mich in den Blindflug und schleppte mich mit Hendricks so schnell ich konnte rechts an der Hütte vorbei und dann weiter durch die Nebelschwaden, dabei über den sumpfigen Waldboden stolpernd. Die extrem feuchte Luft hatte bestimmt schon über fünfunddreißiggrad erreicht. Mir brach der Schweiß aus und ich spürte, wie mich langsam meine Kräfte verließen. Lange würde ich den jetzt auch wieder Bewusstlosen nicht mehr stemmen, geschweige denn schleppen können.

Ich blickte angestrengt nach vorn und dann sah ich ihn. Den Jeep. Und damit vielleicht auch unser Ticket in die Freiheit. Nur noch knappe drei Meter entfernt…

Die wilden Rufe kamen immer näher und fast war mir, als würde ich sogar schon den Luftzug der jetzt nur knapp an uns vorbeirauschenden Kugeln spüren.

Die trafen den Jeep. Oh nein, dachte ich, ihr verdammten Penner. Dass sie jetzt den Motor noch durchlöcherten, durfte ich keinesfalls zulassen. Also drehte ich mich halb um, beförderte dann so sanft, wie möglich, Hendricks nach links unten zu Boden, ging dann selber in die Hocke und sah gerade noch rechtzeitig zwei der Bösen direkt auf uns zu laufen. Und schießen. Und einer traf mich. An meiner linken Schulter, da, wo gerade noch der Dürre dranhing. Da hatte er aber Glück gehabt. Ich auch, war nur ein Streifschuss. Tat trotzdem tierisch weh. Blutete aber kaum. Jetzt geriet ich leicht in Panik, versuchte aber die Nerven zu behalten. Und die Angst auszublenden. Ich dachte nicht, sondern handelte nur noch instinktiv reagierend. Und eröffnete selber wieder das Feuer. Wieviel Schuss hatte ich eigentlich noch? Wusste ich nicht. Hatte nicht mitgezählt. Musste aber reichen.

Reichte. Nach zwei ungewollten Warnschüssen traf ich den linken der beiden auf uns zustürmenden Killer. Der wurde durch den Einschlag in seine Brust gleich wieder aus dem Lauf nach hinten und zu Boden geworfen. Und blieb dort wie ein nasser Sack liegen. Vier weniger!

Sein Wing-Man sprang freiwillig nach rechts auf den Boden. Und fand Deckung hinter einem dort liegenden Baumstamm. Ich drehte mich blitzschnell um, packte Hendricks und zog ihn ebenfalls in sichere Deckung, hinter den Jeep. Und wartete kurz. Dann hörte ich, wie der wohl immer noch wild Entschlossene wieder den Abzug seiner Waffe betätigte. Passierte aber nichts. Kein weiterer Schuss. Ich hörte es nur zweimal klicken. Wunderbar, dachte ich, der hatte es wohl auch nicht so mit Zählen. Oder bluffte er nur, um mich aus der Deckung zu locken?

Egal, ich musste das Risiko eingehen. Ich richtete mich auf, schaute in die Richtung des Entführers und rannte los. Wie ein wilder Buschkrieger.

Mit einem lauten ``Haaa`` und im Zickzackkurs auf den Baumstamm zu. Muss komisch ausgesehen haben. Dort angekommen sah ich ihn. Halbliegend und mit hektischen Nachladeversuchen beschäftigt. Als er auch mich sah, hielt er inne. Und legte dann seine Handfeuerwaffe resignierend neben sich auf dem Boden. Für einen Moment war ich wie gelähmt und zögerte. Besann mich dann aber wieder und zielte auf den riesigen, mit einer fettigen schwarzen Haarmähne bedeckten Kürbiskopf von dem Typen.

Wie ich jetzt erkannte, war er auch genau der Schmierige gewesen, der seinen Frust über die misslungene Lösegeldforderung für mich und den Alten so einige Male mit seinen Fäusten an uns ausgelassen hatte.

Da kam doch jetzt richtige Vorfreude bei mir auf.

Er schien gerade meine Gedanken zu lesen, denn plötzlich hob er seine Hände schützend vor sein Gesicht und fing beinahe schon an zu wimmern.

Was dachte dieser kleine Wichser, etwa dass ich dadurch jetzt Mitleid bekäme?

Dann war er wohl der König der Idioten.

Aber ich war auch kein Mörder. Bis jetzt hatte ich ja nur aus Notwehr gehandelt und diesen Penner jetzt kaltblütig abzuknallen, kam für mich also auch nicht in Frage. Auch wenn ich eigentlich Lust dazu gehabt hätte. Ihn jetzt aber noch langwierig hier zu fesseln, dafür hatte ich auch keine Zeit mehr.

Also schoss ich trotzdem! Auf sein linkes Knie. Die herrlich schmerzenden Schreie, die der Jammerlappen daraufhin ausstieß, befriedigten dann doch zum Teil meine leidenschaftlichen Rachegelüste.

Situation also bestens gelöst.

Für mich. Und für ihn. Fünf weniger!

Aber wo war der Sechste? Nicht in Sicht. Ok, dachte ich, der Letzte flüchtet wohl immer, hoffentlich…

Fünfzehn Minuten später jagte ich den alten klapprigen Kriegsveteranen von Geländewagen durch den Urwald. Der Zündschlüssel hatte natürlich nicht gesteckt, aber der Schmierige war nochmal so freundlich gewesen…

Es ging über Stock und Stein auf einem Weg-Pfad, den ich zum Glück gefunden hatte und jetzt auch halbwegs vor mir durch den Restnebel erkennen konnte. Der große Nebel hatte sich mittlerweile gelöst und auch die ersten Sonnenstrahlen stießen schon durch die dicht an dicht stehenden Bäume und Palmen hindurch. Mein Ziel war die Küste und die nächstgelegene Stadt. Am besten mit einer bemannten Polizeistation.

Dass wir in die richtige Richtung fuhren, sah ich als geschulter Nautiker natürlich am Stand der Sonne.

Die ging doch im Osten auf und da lag ja auch die Küste. Oder nicht?

Richtig klar denken konnte ich also gerade doch nicht. Ich stand wohl unter Schock. Und noch unter Adrenalin, deswegen funktionierte ich zumindest noch halbwegs. Ich versuchte mich etwas zu entspannen. Meinen Puls zu senken. Hatte ich bei etlichen Meditationsübungen mal gelernt. Ich schaute nach rechts, auf den Beifahrersitz. Oder das, was mal einer gewesen war. Da hing Hendricks in den Seilen, beziehungsweise festgeschnallt im noch intaktem Gurt. Immer noch bewusstlos. Auch nicht schlecht, dachte ich, wahrscheinlich wacht der erst wieder auf, wenn er sicher und gemütlich irgendwo im Krankenhausbett liegt und ihm gerade eine hübsche brasilianische Krankenschwester irgendeinen Verband wechselt. Oder die Windeln.

Hauptsache er hielt bis dahin noch durch. Sah aber so aus.

Rein optimistisch betrachtet.

Nach weiteren zwanzig Minuten holpriger Fahrt, fuhren wir endlich auf eine, zwar löchrige, aber halbwegs normale, asphaltierte Landstraße auf. Und damit kamen wir wohl unserer endgültigen Rettung ein ganzes Stück näher. Seit unserer Abfahrt hatte sich auch noch kein Verfolger in dem zersplitterten Rückspiegel des Jeeps gezeigt. Meine Hoffnung wuchs. Und jetzt konnte ich auch langsam wieder etwas klarer denken. Sogar reflektierte ich gerade nochmal über die traumatischen Ereignisse der letzten Tage. Schien alles nicht wirklich real, eher wie ein böser Alptraum. Ein Alptraum, der irgendwann vor fünf Tagen begonnen hatte; Da hatten wir noch über Nacht mit unserem Containerschiff vor der Küste Brasiliens vor Anker gelegen, also auf Reede.

Warum auf Reede? Weil unsere Reederei die Kosten für die Liegegebühren im Hafen von Santos hatte sparen wollten. Und ich hatte weit nach Mitternacht in meiner schönen Uniform auf der Brücke gestanden und hatte vor grausamer Langeweile das Ende meiner Nachtwache gar nicht erwarten können. Bis dann plötzlich diese Möchtegern-Piraten mit ihrem Schnellboot aufgetaucht waren.

Die hatten sich dann zuerst mit Enterhaken an Deck und dann schleichend zu mir auf die Brücke hochgearbeitet. Ihr Ziel war der Bord-Safe in der Kabine von Kapitän Hendricks gewesen. Da der aber wie fast immer grottenleer war, hatten die Typen kurzerhand entschlossen mich und den Alten als Trostpreis mitzunehmen. Die restliche Crew hatten sie verschont. Das musste man ihnen schon zu Gute halten. War aber trotzdem dumm gelaufen. Für uns.

Dann aber auch für die Entführer. Als diese nämlich am Tag darauf ihre formelle Lösegeldforderung bei der Reederei für uns eingereicht hatten, zeigte diese ihnen, und damit auch uns, nur den unfreundlichen Finger. Und besiegelten damit wohl auch bewusst unser Schicksal.

Fanden wir natürlich extrem enttäuschend. Um nicht zu sagen extrem beschissen. Ich und auch der eigentlich höchst loyale Hendricks.

Sogar richtig wütend hatte uns das gemacht, aber vielleicht hatte auch gerade diese Wut im Bauch uns die Kraft gegeben, die Nummer bis heute irgendwie durchzustehen. Wer weiß. Mit meinem Arbeitgeber war ich auf jeden Fall endgültig durch. So oder so. Auch, wenn ich aus dieser Nummer hier heil herauskam. Was jetzt auch so aussah, denn plötzlich tauchten in der Ferne ein Kirchturn und mehrere Häuser auf. Als ich jetzt auch noch herrliche Meeresluft im Fahrtwind erschnüffeln konnte, da stand mein Entschluss fest. Ich wusste genau, wie ich mein weiteres Leben führen würde. Und auch wo. An einem Ort, wo ich mich schon immer sauwohl gefühlt hatte. Definitiv nie mehr einsam und abgeschottet auf irgendeinem Containerschiff.

Dafür war das Leben nun wirklich zu kurz.  

Ich fühlte noch einmal kurz den Puls meines Beifahrers und war mir dann auch endgültig sicher, dass wir es tatsächlich beide geschafft hatten. Um Haaresbreite. Und mit einer Erinnerung, die mich definitiv prägen und uns beide wohl bis zum Ende unseres Lebens begleiten würde…

 



1

Fort Lauderdale, Florida, USA - Gegenwart

 

Aufgewacht war ich durch die Explosion. In meinem Kopf. Was für ein Schmerz. Wildes Hämmern. Und mir war kotzübel. Wo ich war, wusste ich auch gerade nicht. Stürmisch und mit noch geschlossenen Augen richtete ich mich auf. Zu schnell. Ich stieß schmerzhaft mit dem Kopf gegen irgendwas Dumpfes, Hartes. Und wurde dadurch auch gleich wieder in die Horizontale zurück katapultiert.

Verdammt, dachte ich, jetzt reicht‘s aber. Ich riss die Augen auf, hob diesmal aber langsamer den Kopf und sah mich erstmal um.

Gott sei Dank, ich bin in Sicherheit, dachte ich erleichtert und ließ meinen Kopf nochmal ins Kissen fallen. Und befummelte meine Stirn.

Nass. Nicht feucht, richtig nass. Ich schwitzte also. Wie ein Schwein.

Kein Wunder, dachte ich, schon wieder im Traum durch den Busch gehetzt.

Und das tat ich mittlerweile regelmäßig im Schlaf. Komischer Weise immer dann, wenn ich am Abend zuvor ein paar Drinks zu viel gehabt hatte. Wie wohl auch gestern Abend, soviel war mal klar. Trotzdem wusste ich bis heute noch nicht warum mich die Nummer von damals immer noch nicht losließ. War’s die Angst um mein Leben in der alten Dreckshütte, oder die Tatsache, dass ich, um da wegzukommen, leider drei Menschen hatte dahinraffen müssen. Auch wenn sie mir keine Wahl gelassen hatten. Trotzdem war es nicht so leicht, wie gedacht, damit zu leben. Auch wenn es richtige Bestien gewesen waren und ich in Notwehr gehandelt hatte. So hatten mir das ja auch die Jungs von der brasilianischen Küstenwache und der örtliche Staatsanwalt nach tagelangen Vernehmungen letztlich bestätigt. Was sage ich, applaudiert hatten sie mir noch, dafür, dass ich eigentlich ihren Job für sie erledigt hatte. Also, warum störte das heute immer noch so oft meine Nachtruhe? War wohl normal, zumindest bei Ex-Söldnern, bei mir war ich mir da nicht sicher…

Normal war aber nicht, wie ich mich jetzt fühlte. Eigentlich vertrug ich nämlich meine regelmäßigen Feierabendbierchen bestens und Härteres gab es mittlerweile ja nur noch eher selten. Und Freunde, was soll ich sagen, gestern war dann wohl mal wieder eher selten gewesen. Ja, ich gebe es zu, ich war letzte Nacht versackt. Und zwar böse versackt. Und jetzt zahlte ich den Preis dafür, indem ich litt, wie ein räudiger Hund. Und genau das hatte ich wohl auch verdient.

Ich, der ach so harte Kerl, Sullivan Fischer. So heiße ich übrigens.

Genannt wurde ich aber meist nur Sully und für hart hielten mich höchstens andere. Ich selbst wusste nur zu gut um meine inneren Schwächen.

Gestoßen hatte ich mich eben an einer der viel zu niedrigen Holzplanken über meiner Koje. Ja genau, Holzplanken und Koje. Ich wohnte nämlich derzeit auf einem Boot. Klingt abenteuerlich, meinen Sie? Stimmt, empfand ich allerdings nur anfangs so, denn wohnen konnte man das hier mittlerweile kaum noch nennen. Besser gesagt, campierte ich schon viel zu lange und extrem beengt auf diesem doch schon uralten Kahn. Einem fast schrottreifen zwölf Meter langen Segler aus den Sechzigern. Und warum? Sag ich Ihnen gern: Weil sich in meinem eigentlichen Zuhause, einem schönen Apartment mit bestem Blick auf den Atlantik, gerade unzählige, winzige und wildgewordene Raubtiere einen blutigen Krieg mit einer Kampfeinheit der Kammerjäger, der Florida Pest Control, lieferten. Und wie die mir leider erst kürzlich eröffnet hatten, würde diese Schlacht wohl auch noch einige Zeit andauern. Dumm gelaufen.

Für mich. Und für Kenneth, oder Ken, wie er von allen genannt werden wollte.

Der hatte mir nämlich freundlicher Weise diese luxuriöse Bleibe zur eigentlichen, nur kurzen Überbrückung überlassen. Auch ein Optimist…

Seit meinem Abenteuer in Brasilien hatte mir der gute Kenneth und ehemaliger Ex-Navy Seal übrigens auch dabei geholfen, dann doch endlich ein Waffenexperte zu werden. Dieses bei mittlerweile zahlreichen gemeinsamen Baller Einheiten in seinem Schießclub, in dem er mich irgendwann stolz eingeführt hatte. Hatte sich in den letzten Jahren, ja ich sage mal leider, auch als sehr nützlich erwiesen. Im Gegenzug dafür, hatte ich meinen Kumpel dann zu einem recht brauchbaren Skipper ausgebildet, und das hatte ihn dann wiederum dazu bewogen, sich kürzlich diesen, und das meine ich wirklich liebevoll, kleinen Drecksdampfer zuzulegen.

Getauft hatte er die alte Dame auf den schönen Namen Esperanza.

Ja, und die lag jetzt fest vertäut in der Fort Lauderdale Harbour Marina,

in dem schönen Strandstädtchen Fort Lauderdale.

Gelegen an der Südostküste meiner Wahlheimat Florida,

dem Sunshine State der USA!

Und warum war das die Heimat meiner Wahl? Weil ich es einfach geil fand, hier zu leben und ich den extrem entspannten Lifestyle der Floridians so genoss. Dazu Sonne und Wärme das ganze Jahr über, dann die weißen Strände am oft stürmischen Atlantik und natürlich die abendlichen Happy Hours, mit Life-Musik, netten Girls und den verrücktesten Typen. Dazu herrlich kühle Drinks zum halben Preis.

Ja, da frage ich Sie doch: What else? Was konnte es denn Besseres geben?

Für mich jedenfalls nichts. Ich wollte hier nie wieder weg...

Weg wollten jetzt allerdings auch meine Kopfschmerzen nicht. Würden sie wohl auch nicht von alleine. Ich brauchte ein Aspirin. Aber erst noch ein kurzer Blick auf mein Smartphone; Und was sah ich? Natürlich tausend Nachrichten und, dass es schon nach elf Uhr am Morgen war. Für mich als stolzen Frühaufsteher und überzeugten Frühsportler ein Desaster.

Ok, was solls', dachte ich, kann ja mal passieren. Gott sei Dank, war heute Sonntag und ich hatte offiziell frei. Frei, wenn nichts dazwischenkam. Vorsichtig richtete ich mich wieder auf. Jetzt wurde mir auch noch schwindelig. Widerlich. Ich blieb sitzen und massierte mir die Schläfen. Besser.

Dann startete ich einen zweiten Versuch.

Mit Erfolg. Langsam stieg ich über die auf dem ganzen Kabinenboden verteilten Klamotten, bis zu dem ebenfalls zugemüllten kleinen Ess-, Arbeits- und Wohntisch hinüber. Dort angekommen, bekam ich plötzlich nervöse Zuckungen; Auf dem Tisch sah ich nämlich neben meiner Armbanduhr, meinem ledernen Karten Etui und einem Bündel Dollarscheine, über die ich mich noch freute, auch noch etwas anderes. Meinen Autoschlüssel. Eigentlich nach so einem wohl sehr feuchten Abend eher ein Grund zur Freude, eigentlich, denn jetzt hoffte ich nur, dass mich mein schöner alter Pontiac Trans Am aus den Siebzigern letzte Nacht nicht mehr nach Hause gefahren hatte. Zumindest nicht mit mir am Steuer. Warum ich das jetzt überhaupt in Erwägung zog? Sag ich Ihnen auch; Weil ich früher leider nur zu oft so ein böser und eher wenig verantwortungsbewusster Lümmel gewesen war. Zwar fuhren hier im Happy Hour State die meisten Vergnügten regelmäßig leicht angeduselt, und selbiges galt hier auch noch nicht mal als Verbrechen. Ich hatte es dann aber doch das ein oder andere Mal damit ziemlich übertrieben. Und war darauf wirklich nicht stolz. Ok, war nie etwas passiert. Außerdem hielt ich mich, wie wohl viele andere Idioten sich auch, für einen überdurchschnittlich guten Fahrer. Aber das war natürlich keine Entschuldigung. Ich hoffe Sie würdigen an dieser Stelle meine Ehrlichkeit, denn auf die bin ich wirklich stolz. Auch wenn mich andere dafür manchmal sogar hassten…

Weil die Esperanza mit ihrem Hinterteil an der Pier festgemacht war, hetzte ich jetzt zu dem kleinen Treppenaufgang in den hinteren Teil der Kabine hinüber, vermied aus gutem Grund den Blick in den kleinen Spiegel an der Bordwand daneben und öffnete so leise wie möglich die Decksluke über mir. Warum leise? Weil ich jetzt draußen gerade Leute reden hörte und ich nicht gleich deren Blicke auf mich ziehen wollte, wenn ich jetzt meine Suff-Birne an Deck zeigte.

Ja, muss ich zugeben, da war ich schon Eitel, meine äußere Erscheinung war mir wichtig, ich musste nicht immer top gestylt sein, aber eben gepflegt. Auf jeden Fall nicht so shit-faced, wie wahrscheinlich jetzt gerade.  

Die brennende Sonne und die Hitze trafen mich wie ein Hammer.

Und das Mitte November. Aber gut, normalerweise ja genau das, was ich hier so toll fand. Aber bestimmt nicht heute. Dann war ich erleichtert. Und auch gleich wieder besorgt. Erleichtert, weil mein kleiner Flitzer nicht auf dem zu diesem Anleger gehörendem Parkplatz stand. Besorgt, weil mir jetzt auch nicht einfallen wollte, wo ich die Kiste denn letzte Nacht gelassen hatte.

Und als ich jetzt so darüber nachdachte, wusste ich sowieso nur noch relativ wenig vom gestrigen Abend. Kleiner Filmriss. Und das in meinem Alter.

War mir schon etwas peinlich.

Gehört hatte ich meinen Nachbarn, Luigi oder wie dieser Spaghetti-Genießer, und damit halber Landsmann von mir, auch immer hieß. Er stand auf meinem Parkplatz, beziehungsweise auf dem, der zu diesem Anleger gehörte.

Am Plaudern mit einer heißen Südländerin. Wahrscheinlich eine seiner zahlreichen One-Night-Stands, die er gerade, wie an so einigen Morgen, an der Pier mit größten Versprechungen wieder verabschiedete. Ihm gehörte die wirklich schöne Motoryacht neben der Esperanza, oder war dort nur, genau wie ich hier, Dauergast. Wusste ich nicht. War mir auch egal. Außer durch Winken und freundlichem Zunicken, hatten wir noch nicht weiter kommuniziert.

Jetzt schaffte ich es gerade noch meinen Wuschelkopf wieder unter Deck zu ziehen, bevor er und die Hübsche, die mich doch irgendwie bemerkt hatten, ihre Köpfe zu mir herumdrehen konnten. Gut reagiert, dachte ich und fühlte mich jetzt auch schon etwas wacher. Nun ging’s rüber zur kleinen Bordküche, Schublade auf und ja, ich hatte Glück, sogar noch zwei Aspirin. Die schnell in einem Glas mit Natural Spring Water aufgelöst, dann runtergespült, und dann wusste ich, dass es mir erfahrungsgemäß in ca. zwanzig Minuten schon wesentlich besser gehen sollte. Bis dahin würde ich hier noch schön schattig unter Deck bleiben, bevor ich mich dann für den finalen Ausnüchterungsprozess in den kühlen Atlantik stürzen würde. Der Strand lag ja, nur noch getrennt durch die A1A, gleich gegenüber der Marina. Günstig.

Ja, das Leben war schon nice hier, ein Privileg, und ein Teures noch dazu. Ich wunderte mich heute noch, wie ich es vor drei Jahren geschafft hatte, ohne festen Job, ohne viel Kohle und auch ohne Greencard hier Fuß zu fassen. Und das, ohne zwischendurch wieder für Monate auf irgendeinem Seelenverkäufer anmustern zu müssen.

Überhaupt zur See zu fahren, dazu hatte ich mich nach der Schule in Deutschland wohl mehr aus einem Fluchtreflex heraus entschlossen. Damals wollte ich einfach nur weg von allem. Von meinen Eltern, von der von ihnen für mich geplanten Zukunft und von dem kühlen Klima in Good old Germany.

Und damit meine ich nicht nur das Wetter.

Lag vielleicht auch an meinem italienischen Großvater mütterlicherseits und der mir von ihm nachweislich vererbten lockeren Mentalität. Das gute Pendant zu meiner leichten, deutschen Sturheit. Nach ein paar harten Lehrjahren als Auszubeutender und anschließendem Studium hatte ich es dann sogar als bekennender Nichtschleimer relativ schnell zum Nautiker mit Kapitänspatent geschafft. Das Meer hatte ich schon immer geliebt und auch gebraucht und als ich dann noch über die Jahre Florida kennen gelernt und meine ganze Freizeit hier verbracht hatte, war eigentlich schon immer klar, wo ich einmal ganz niederlassen würde. Um dann auch ein etwas normaleres Leben mit einem festem Freundeskreis, eigenem Dach überm Kopf und einem gewissen Maß an Freiheit zu führen. Für das Wann hatte ich mich damals in Brasilien entschlossen, direkt nach der Steilvorlage meiner damaligen Reederei.

Die beste Entscheidung meines Lebens. Immer noch.

Und das Wie, ja, da hatte ich dann nach ein paar schwierigen Anfangsmonaten und eher wenig lukrativen Yachtüberführungen aus der Karibik, unverhofftes Glück gehabt;

Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Bei einem Dinner for One, in einem der vornehmsten italienischen Restaurants an dem berühmten Las Olas Boulevard, hier in der Stadt. Genau an jenem Abend wollte ich mir gerade mal wieder überlegen, welchem neuen Tätigkeitsbereich ich mich denn nun mal langsam annähern sollte. Und da trat, fast wie gerufen, plötzlich ein älterer Herr an meinen Tisch. Und in mein Leben. Ein gewisser Signore Flavio Franco.

Und diesem, wie ein alter Mafiapate wirkenden, freundlichen Italiener, gehörte nicht nur das Da Franco, so hieß der Schuppen, in dem ich damals dinierte, sondern ihm gehörten auch noch vier weitere, höchst exklusive gastronomische Betriebe. In Fort Lauderdale und in Miami Beach. Und da er nun mal nicht mehr der Jüngste war, er sich endlich mal den schönen Dingen im Leben widmen wollte, war er zufällig gerade auf der Suche nach einem führungsstarken und vertrauenswürdigen Geschäftsführer für sein kleines, aber feines Imperium. Und den hatte er zu meinem Glück in mir gesehen. Fragen Sie mich nicht warum.

Vielleicht hatte ich auch nur einen guten Tag gehabt.

Jedenfalls hatten wir uns auf Anhieb gut verstanden, hatten an dem Abend noch so einige Fläschchen Roten geleert, hatten uns gegenseitig unsere Lebensgeschichten erzählt und waren schließlich irgendwann schon weit nach Mitternacht Best Buddys geworden. Und noch vor dem Morgengrauen hatten wir auch unsere neue Geschäftsbeziehung per Handschlag besiegelt.

Der Klassiker also.

Mittlerweile war unser Verhältnis sogar fast schon zu einer Vater-Sohn-Beziehung geworden. Und damit konnte ich auch gut Leben;

Ich respektierte ihn für seine gesunde und frische Lebenseinstellung, die sich praktisch eins zu eins mit meiner deckte, ich mochte seine Direktheit und ich war seither ziemlich dankbar für sein spontanes Vertrauen in mich. War ja nicht unbedingt selbstverständlich gewesen. Und er mochte mich für das, was ich war; Ein ziemlich wilder Kerl, ehrlich und noch direkter als er, ein etwas verrückter Mittvierziger, der sowohl im noblen Zwirn in den exklusivsten Etablissements verkehrte, und der dann auch wieder in abgefuckten Jeans und mit Fünf-Tage-Bart in irgendeiner versifften Biker Bar abhing. Und sich in beiden Kreisen gleichermaßen bewegen und amüsieren konnte. Konnte ja nicht jeder.

Sogar meine oftmals auch gefährlichen Aktionen, und die Art, wie ich diese bis jetzt immer gemeistert hatte, schienen ihm auch irgendwie imponiert zu haben.

Oder er wollte einfach davon nichts wissen, kam auch vor.

In meinem neuen Job war ich dann aber sehr bodenständig und ich erwies mich sogar schon nach kürzester Zeit als  kompetenter und engagierter Manager für seine Betriebe. Ich steigerte die Umsätze, wirtschaftete äußerst profitabel und trug schließlich auch durch meine exklusive Kontaktfreudigkeit dazu bei, dass sich die Lokalitäten schnell zu den angesagtesten ``Places to Be`` der High Society von Florida etabliert hatten. Und Don Franco, wie ich ihn insgeheim nannte, würdigte das auch, indem er mein Engagement äußerst großzügig honorierte. Sogar eine First Class Kranken- und Lebensversicherung hatte mein neuer Daddy für mich abgeschlossen. Ok, bei meinem Lebensstil war das wohl sowieso wichtiger als die monatliche Gage. Das alles konnte er sich aber auch leisten, schließlich mussten wir die einzelnen Umsätze mittlerweile nachts fast schon in großen schwarzen Säcken von der italienischen Müllabfuhr abholen lassen…

Auf jeden Fall machten wir irgendwann so viel mehr Profit, dass Franco sogar plante, noch weiter zu expandieren. Gut für mich. Dann war da auch noch sein nicht weniger mafiös angehauchte Anwalt.

Und der hatte mir irgendwann noch, als nachträgliches Willkommensgeschenk in der neuen Familie, die unbegrenzte und so hochbegehrte Greencard über den Tisch geschoben. Beziehungsweise unterm Tisch in die Hand gedrückt. Und ich hab sie natürlich, ohne noch groß nachzufragen, gleich eingesackt. Bingo. Kurz gesagt, war ich durch diesen netten alten Sack zu Sicherheit und einem höchst lukrativen neuen Job gekommen.

Der machte sogar spaß und ermöglichte mir gleichzeitig nun auch mein weiteres und auch legales Verweilen in dem Land meines Gustos. Warum ich mich in dem Restaurant-Business überhaupt auskannte?

Berechtigte Frage.

Weil meine Leute selbst schon immer Restaurants und sogar ein Hotel besessen hatten und ich schon aus der Wiege heraus, durch meinen gar nicht autoritären Vater zum Gastronomie-Profi erzogen und gedrillt wurde. Meine Abschlussprüfung hatte ich in der Abwaschküche bei ihm absolviert.

Und bestanden. Spaß muss sein…

Fakt war, ich hatte das Restaurant-Business immer schon als ``Wenn nichts anderes mehr geht-Alternative`` im Kopf behalten…

Wohl die berühmten Fußstapfen… 

Und nun war ich wohl schon bei dieser Alternative angekommen. Aber für mich war sie jetzt viel mehr als das. Das Leben hatte es also dann doch nochmal gut mit mir gemeint. Ein bisschen Kohle hatte ich auch schon unter irgendeiner Palme liegen, körperlich war ich so fit wie nie und äußerlich wurde ich von den Damen oftmals mit Sonny Crockett aus der Serie Miami Vice verglichen. Und das nahm ich einfach mal so als Kompliment. Seinen Dress-Style hatte ich jedenfalls drauf. Dann hatte ich noch ein paar wirklich gute Kumpel, auf die ich mich stets verlassen konnte. Und die noch verrückter waren als ich. Ohne Freunde konnte es hier in Amiland nämlich auch ganz schnell ziemlich einsam und bedrückend werden. Auch als eigentlich leidenschaftlicher Einzelgänger wie ich. Und ich war Single. Was mir auch nichts ausmachte. Für den Moment genoss ich die totale Unabhängigkeit und für die schönste Nebensache der Welt, gab es immer mal die ein oder andere gute Bekannte, mit der ich auf Abruf auch mal einen schönen Schmuse-Abend verbringen konnte, unverbindlich versteht sich. Und das reichte mir momentan auch. Bis vielleicht irgendwann die eine und sonst keine in mein Leben treten würde. Ja, halten Sie mich nicht für naiv, aber daran glaubte ich tatsächlich immer noch. Bis dahin hieß es für mich abwarten und Leben genießen. Und zwar in vollen Zügen.

Ein weiterer Vorteil bei meinem jetzigen Job und meinem doch sehr innigen Verhältnis zu meinem Boss war auch, dass ich mir meine Arbeitszeiten relativ frei einteilen konnte.  Obwohl ich praktisch twenty-four-seven für die jeweiligen Manager der einzelnen Joints erreichbar und verfügbar war, konnte ich mich auch immer mal kurzeitig ausklinken und mich um andere Dinge kümmern. Dann übernahm Franco persönlich und ich konnte mal wieder für ein bisschen Extrakohle, hauptsächlich aber weil es mir nach wie vor Spaß machte, Boot fahren. Oder ich konnte mal wieder irgendeiner armen Sau helfen, die gerade in Schwierigkeiten war. Oder mir selbst. Ist neben dem Segeln und Tennisspielen fast schon zu einem richtigen Hobby bei mir geworden. Das das Buschabenteuer in Brasi-Land ein permanentes Kick-Ass-Verlangen bei mir entzündet hatte, bestritt ich mir gegenüber natürlich vehement.

Bei diesen Gedanken fiel mir gerade auf, dass es schon ziemlich lange, ziemlich ruhig gewesen war, wenn es um genau dieses Verlangen ging. Was war denn da los, war’s das schon? Keine Action mehr für Sully? Musste ich jetzt auch noch in einen Kampfsportclub eintreten, um meine früher mühsam erlernten Bum-Bum-Techniken nicht zu verlernen?

Nein, dachte ich, da mach dir mal keine Sorgen, bei deinem Glück lauern die nächsten Irren schon wieder irgendwo im Busch. Hauptsache nicht im Brasilianischen…


ENDE LESEPROBE KAPITEL I


Sullivan Fischer

Band II - DER BOSS,

by Eddy Cane


Prolog

Little Italy, Lower Manhattan, New York City

 

Es war wie in einer der altbekannten Filmszenen, bei der eine Gruppe von älteren, mächtigen und auch weniger mächtigen Mafiosi in einem Hinterzimmer eines italienischen Restaurants an einem Tisch sitzt und angeregt diskutiert.

Dabei dann jeder Einzelne wild mit den Händen gestikuliert, abwechselnd ironisch laut lacht und dann wieder düstere und mahnende Blicken um sich wirft. Nur diese schwergewichtige Gruppe von italienischen Geschäftsleuten war echt. Alle mit einer echten Waffe unter ihrem Jackett, mehreren echten Jahren Knast auf dem Buckel und die meisten von ihnen mit einem Gesichtsausdruck, der gleichzeitig die totale Abgewichstheit und dann aber auch Respekt und fast schon innere Angst ausstrahlte. Und die Stimmung war dazu passend gerade extremst angespannt. Dieses, weil sie alle heute eine wegweisende Entscheidung zu treffen hatten. Und die musste einstimmig sein. Dafür waren extra sechs der insgesamt sieben Mitglieder dieses Komitees aus sechs verschiedenen Staaten und Städten der USA hier nach New York gereist. Und hatten sich dann vor einer guten Stunde hier in der Trattoria Palermo, welche sich mitten im Herzen von Little Italy befand, eingefunden. Little Italy war wohl das älteste italienische Viertel im New Yorker Stadtteil Lower Manhattan. Allerdings hatte es auch schon lange seine so berüchtigten Glanzzeiten hinter sich gelassen und war daher auch nicht mehr das Lieblings-Wohnzimmer der Mafiosi und dementsprechend heute auch nicht mehr ganz so gefährlich wie noch in früheren Jahren. Die Familienoberhäupter hatten sich irgendwann umorientiert und einen solidarischen Ortswechsel vollzogen.

Das taten sie mittlerweile auch regelmäßig.

Wohl aus gutem Grund…

Der siebte im Bunde saß am oberen, ovalen Ende des Tisches und hatte, genau wie man dadurch vermuten konnte, hier eine Sonderstellung. Nicht weil er in New York lebte und nicht extra angereist war, sondern weil er auch derjenige gewesen war, der zu dieser kleinen Audienz geladen hatte. Besser gesagt, das persönliche Erscheinen der anderen befohlen hatte.

Er war das Oberhaupt dieser, nennen wir es mal Interessengemeinschaft. Auch hatte er sich noch nicht umorientiert, nein, er war aus Überzeugung altmodisch und hing an den alten Gepflogenheiten. Und an diesem Stadtviertel sowie an diesem Restaurant, welches einem Enkel eines Bruders seines Vaters gehörte. Also eigentlich ihm.

Sein Name war Signore Mauricio Cavalli, oder Don Cavalli, wie er sich am liebsten betiteln ließ.

Schließlich war er ja der Capo. Der Boss…

Allerdings war er nicht sein eigener Boss. Auch gab es hier in den USA noch einige andere Oberbefehlshaber, die für dasselbe Großunternehmen wie auch er arbeiteten, ihm dabei aber fast gleichgestellt waren. Aber nur fast. Sie alle hatten auch noch einen gemeinsamen Chef, dem sie, jeder für sich, Rechenschaft für jede ihrer Entscheidungen und Handlungen ablegen mussten. Dieser Chef befand sich allerdings weit entfernt auf einem anderen Kontinent, irgendwo in Italien. Wo genau, wusste keiner von ihnen so richtig. Sie kannten von ihrem Ober-Boss zwar den Hauptwohnsitz in Sizilien, dort hielt er sich aber eher selten auf. Bekannt war auch, dass er viel reiste, ständig auf Achse war, nie lange an einem Ort verweilte. Der Grund war auch klar. Der Mann hatte einfach zu viele Feinde, die ihm ständig nach dem Leben trachteten. Zwar hatte er stets eine große Scharr an Leibwächtern um sich und seine Familie versammelt, trotzdem hatten ihn in den letzten fünf Jahren schon zwei Auftragskiller nur knapp verfehlt. Verständlich, dass der Mann sich nicht irgendwo am selben Ort und für längere Zeit die Sonne auf den Pelz brennen ließ.

Don Cavalli war dagegen etwas entspannter, oder, wie andere es eher nannten, arroganter. Obwohl er nicht gerade die Beliebtheit in Person war, bewegte er sich ziemlich unverdeckt, zeigte sich dabei regelmäßig mit seinen jungen Gespielinnen, entweder auf öffentlichen Veranstaltungen oder auch in den angesagtesten Bars und Restaurants der Stadt, zum gemütlichen Stelldichein. Oder man sah ihn irgendwo mit seiner unterwürfigen Ehefrau und seinen drei stets geschniegelten Kindern beim gemeinsamen Familienausflug. Ein, und zwar nur ein Leibwächter, war natürlich auch immer dabei. Nennen tat er ihn nur Rocky, ob das sein wirklicher Name war, wussten wohl nur die beiden selbst.

Neben dem wirkte allerdings der Film-Rocky wie ein Bettnässer; dieser Typ sah wirklich aus wie ein Boxer, wobei er für die Schwergewichtsklasse wohl noch zu schwer gewesen wäre. An Muskelmasse versteht sich.

Rocky war natürlich auch heute dabei. Allerdings befand er sich jetzt nicht in diesem Raum, sondern bewachte die einzige Tür desselbigen von draußen. Gemeinsam mit den anderen Leibwächtern, den anderen Unbeliebten.

Die äußerst temperamentvolle Beratung hatte sich jetzt schon über zwei Stunden hingezogen, als plötzlich das kleine, altmodische Schnurtelefon neben Cavalli auf dem Tisch klingelte. Abrupt verstummte die gesamte Runde und blickte nun gespannt zu ihm hinüber. Der zögerte aber kurz, bevor er den Hörer abnahm. Wer da anrief und was derjenige ihm und seinen Gästen mitteilen wollte, ahnten sowieso schon alle in diesem Raum. Auch waren sie gerade noch rechtzeig zu der so wichtigen Entscheidung gekommen und waren somit jetzt auch bereit. Cavalli nahm ab und, ohne zuerst zu hören, sprach er sofort.

Genau drei Worte: ``Lasst ihn rein!``

Der Gast, den sie alle erwartet hatten, war also tatsächlich erschienen. Sogar pünktlich. Und das war alles andere als sicher gewesen, denn ihm hatte Don Cavalli das Erscheinen hier nicht befehlen können. Streng genommen arbeitete er nämlich nicht für dieses Unternehmen und Cavalli oder für einen der anderen hier am Tisch. Und trotzdem war er auf die Bitte hin, na gut, es war schon eher ein mahnender Rat gewesen, heute nach New York gekommen. Angereist aus Florida, wo der Herr eigentlich lebte und seinen eigenen Geschäften nachging. Genau um diese, seine bekanntermaßen höchst lukrativen Geschäfte, war es bei der heutigen Konferenz gegangen. Auch wenn sich ihr Gast ihnen in keinster Weise verpflichtet fühlte, so sah man das in dieser Runde mittlerweile ein bisschen anders, und das würde man ihm heute auch so zu verstehen geben. Entschieden hatte man letztlich darüber, was man denn tun würde, wenn der Südstaatler nicht einlenken und sich nicht zu den allgemeinen, neuen Geschäftsbedingungen bekennen würde. Jetzt hing also alles von den nächsten Minuten ab. Mehr Zeit, und auch das hatte man beschlossen, würde man ihm für wiederum seine Entscheidung nicht geben. Es klopfte an der Tür. Dann wurde sie geöffnet. Und herein trat der Gast.

Ein älterer, stattlicher Italiener, elegant gekleidet im dunkelbauen Anzug, darüber einen dunkelblauen Kamelhaarmantel und braune, auf Hochglanz polierte Lederschuhe. Natürlich auch aus Italien und handgenäht. Er bewegte sich selbstsicher und galant und wirkte durch und durch wie ein Gentleman, was man von seinen Gastgebern nicht unbedingt behaupten konnte. Und er war allein. Einen Begleiter von ihm hätte man hier auch nicht akzeptiert. Geschweige denn, hier hereingelassen. Die zwei Herren links von Cavalli standen auf, zogen einen der Stühle vom Tisch ab und bedeuteten ihrem Gast, darauf Platz zu nehmen. Im selben Moment stand auch Cavalli auf und begrüßte den charismatischen Herrn mit einem breiten Lächeln und einem festen Händedruck. Welchen dieser erwiderte. Den festen Händedruck, nicht jedoch das Lächeln… 

Aus den veranschlagten wenigen Minuten für das Gespräch war dann doch fast eine großzügige Dreiviertelstunde geworden. Dazu war es auch ziemlich unerfreulich verlaufen. Für Cavalli und seine Geschäftspartner. Der Gentleman hatte schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt, wirkte zwischendurch erst abwesend, dann zunehmend verärgert und nun entspannten sich aber seine Gesichtszüge plötzlich wieder. Für ihn schien die Sache hier wohl erledigt.

Er stand er abrupt auf und war sogar im Begriff, sich kurz und ohne jeglichen Ausdruck von Sympathie wieder zu verabschieden. In diesem Moment jedoch öffnete sich hinter ihm die Tür wieder... 

Er drehte sich um und sah, wie jetzt insgesamt drei der bulligen Typen, die ihm schon bei seinem Eintreffen in der Trattoria unangenehm aufgefallen waren, nacheinander eintraten, die Tür hinter sich wieder schlossen und sich dann genau davor nebeneinander und protzig positionierten. Er sah sich das alles ganz in Ruhe mit an, senkte dann leicht den Kopf, biss, jedoch nicht für die anderen erkennbar, die Zähne zusammen und kämpfte gegen die jetzt doch in ihm aufsteigende tiefe Verärgerung. Über sich selbst. Darüber, dass er so dumm, ja geradezu naiv gewesen war, überhaupt hierherzukommen. Noch dazu alleine. Was er in diesem Moment aber gerade am meisten bereute, war, dass er noch nicht mal seinem vertrauten Geschäftsführer und auch sehr guten Freund, denn als das betrachtete er seinen Mitarbeiter mittlerweile, von seiner Reise und dem Anruf von vor einer Woche erzählt hatte.

Wenn einer ihm jetzt helfen hätte können, dann wohl er, dachte der jetzt Ärgerliche und fühlte fast schon so etwas wie Verzweiflung in sich hochsteigen.

Zum Glück weiß wenigstens mein Anwalt Bescheid…

Das war sein letzter Gedanke, bevor er plötzlich den kleinen Pikser in seinem linken oberen Nacken spürte und er gleich darauf kraftlos und benommen in sich zusammensackte… 



1

Fort Lauderdale, Florida.


Gooood Mooorning S O U T H F l o r i d a !!! And good Morning friends of the golden rockin’roll classics, here on One-O-Two-Point-Seven, South Florida’s number one oldie station!! This is your music coach Lenny and I hope you folks are all waking up smoothly on this fine sunny Sunday Mornin! For those of you who are suffering an expensive hang-over from last party Saturday night, I feel with you, but don’t feel sorry, we only live once and life should be just ONE big party!! So let’s continue right here, with the great FOUR TOPS and one of their greatest hits of the sixties, I CAN’T HELP MYSELF…”

H e r r l i c h !!! So macht Aufwachen doch Spaß. Und diesen Spaß hatte ich jeden Morgen hier in meinem geliebten Sunshine State, Florida. Jeden Morgen um Punkt sechs schrie mich der gute Lenny aus den Lautsprechern meines kleinen Radioweckers von meinem Nachttisch aus an und riss mich so aus meinen Träumen. Oder auch Albträumen. Kam immer drauf an, wie ``flüssig`` der letzte Abend verlaufen war. Albträume hatte ich, anders als früher, mittlerweile immer nach eher trockenen Abenden. Ja, und heute Nacht hatte ich mal wieder recht schöne Träume gehabt, wenn Sie verstehen…

Mir ging es zurzeit richtig gut und ich war mit mir und der Welt ganz und gar im Reinen. Und das schon seit fast einer ganzen Woche. Zwar war es jetzt Anfang Dezember und somit hatte auch die Hauptsaison hier in Florida schon begonnen, dennoch liefen die fünf gastronomischen Betriebe, die ich hier mittlerweile seit drei Jahren managte, ohne wirklichen Stress. Die zahlreichen Wintertouristen und Winter-Residenten fielen hier auch noch nicht alle auf einmal ein und ich hatte seit langem endlich mal so etwas wie Normalität in meinem Leben. Ich hauste auch nicht mehr auf der alten Esperanza von Kenneth, sondern war inzwischen wieder in mein Apartment in Strandnähe eingezogen. Natürlich nachdem mir die Kammerjäger grünes Licht dafür gegeben hatten. Das unschöne Hafengemetzel mit den Mafiosi vor ein paar Wochen hatten meine Freunde und ich mittlerweile auch gut verarbeitet. Auch die Wunde von dem Streifschuss an meinem Arm war ebenfalls wieder bestens verheilt. Und ich war jetzt mal wieder ganz für mich alleine;

Kenneth und Domenic waren sich bei unserem letzten Abenteuer offensichtlich freundschaftlich so nah gekommen, dass sie kürzlich sogar zu einem gemeinsamen Trip, hoch nach North Carolina, aufgebrochen waren. Wohl um dort ihren Wintervorrat an Gras aufzustocken, wie ich vermutete.

Der gute Nick wiederum war schon seit einiger Zeit oben in Palm Beach und kümmerte sich dort rührend um seine alleinstehende Frau Mama, und auch diese plötzliche Fürsorglichkeit war wohl auf die jüngsten Geschehnisse zurückzuführen. Ja, und Don Franco, also Flavio Franco, mein Arbeitgeber und Freund, der hatte sich, wie er es immer mal wieder tat, auch kürzlich irgendwohin verpieselt. Wohin hatte er mir nicht mitgeteilt, was er eigentlich auch selten tat. Wahrscheinlich genoss er es, ab und zu mal ganz verdeckt abzutauchen. Und das gönnte ich ihm, ich war da ja nicht viel anders. Und dann war da ja noch Natalie; an die musste ich tatsächlich ständig denken, was mir wiederum schon zu denken gab. Auch wunderte ich mich über mich selbst, dass ich ihren einzigen Anruf vor ein paar Tagen, den ich eigentlich sehnsüchtig erwartet hatte, nicht angenommen und dann auch noch nicht mal zurückgerufen hatte. Manchmal war ich mir selbst ein Rätsel. Momentan genoss ich also einfach meine entspannte und besinnliche Einsamkeit. So wie auch an diesem Morgen. Trotz später Gesangs -und Gitarreneinlage am Vorabend in Sully‘s Nest, einer der beiden Bars, die ich für Franco leitete, fühlte ich mich überraschend fit und klar im Köpfchen.

Gott lobe den Gerstensaft. Ich überstand mein morgendliches Workout-Pensum gut und ohne Herzattacke und brach dann zu einem spontanen Segeltrip mit der Esperanza auf. Und das schon zum dritten Mal in den letzten zwei Wochen.

Ja, komischerweise hatte ich den alten Einmaster schon nach ein paar Tagen nach meiner Abmusterung so vermisst, dass ich seitdem auch schon wieder zweimal auf ihr übernachtet hatte. Okay, der Elbo Room, meine Lieblingsbar für bierliche und fröhliche Stunden in Fort Lauderdale, lag ja auch fast in Spuckweite gegenüber der Marina, in der die gute alte Lady fest vertäut lag.

Ja, und Sie folgern da richtig, ich war also kürzlich schon wieder zweimal so richtig versackt. Jetzt sagen Sie aber bitte nicht:

So kennen wir Dich doch… 

Für meinen Kumpel Kenneth, dem die Lady ja gehörte, war es jedenfalls okay, dass ich sein Bötchen weiterhin nutzte.

Er hatte mich nur eindringlich gebeten, mich mit ihr bei gelegentlichen Ausfahrten nicht genauso hart am Wind zu bewegen, wie er es von mir auf unseren gemeinsamen Segeltörns auf anderen, nur gemieteten Seglern kannte. Ein bisschen Muffen hatte er also schon um seine Yacht.

Den alten Kasten…

Wie sich heute herausstellen sollte, wohl auch nicht ganz zu Unrecht…

Am Anfang war ich noch schön gemütlich bei angenehmen fünfundzwanzig Grad und unter nur leicht bewölktem, fast blauem Himmel und bei angenehmem und stetigem Nord-Ost-Wind die Küste entlang gesegelt. Mit Kurs nach Süden, Richtung Miami. Dieses bei nicht mehr als sieben bis acht Knoten Fahrt.

Doch jetzt, als ich den Kurs wieder nach Norden und damit Richtung Heimat änderte, da zog sich zu meiner Überraschung plötzlich der Himmel über mir, wie aus dem Nichts, bedenklich zu. Der Wind frischte gleichzeitig heftig auf, drehte und verlagerte sich, nunmehr aus Nordwest kommend, und statt nur schön stetig zu püsteln, schleuderte er mir und der Esperanza jetzt knallharte Böen um die Ohren. Und in die Segel. Gar nicht gut. Dabei ließen sie sowohl den Mast und den Baum als auch eigentlich den gesamten Holzkahn laut und heftig knarren und vibrieren. Und ich kämpfte wie ein Blöder mit den Schoten, um das Boot und mich zum einen vorm Kentern zu bewahren und zum anderen aber noch weiterhin genügend Fahrt zu machen, um nicht von der auch stärker gewordenen Westströmung weit auf den Atlantik hinaus getrieben zu werden. Da mittlerweile auch noch heftiger Regen eingesetzt hatte, war ich schon völlig durchnässt, meine Hände vom Durchrutschen der rauen Tampen sowieso schon halb blutig gerieben und die Arme konnte ich auch kaum noch spüren. Großartig. Ich schwöre Ihnen, von dieser stürmischen Entwicklung stand nichts im Wetterbericht. Bestimmt nicht. Nicht, dass ich ihn gelesen hätte… 

Warum holt der das Groß- und das Vorsegel denn nicht einfach ein, wirft den Motor an und tuckert ganz unangestrengt wieder Richtung Hafeneinfahrt, dann auf die Intracoastal und zurück zum Liegeplatz in die Marina? Genau das fragen Sie sich doch jetzt gerade?! Ja, liebe Freunde, dieser Gedanke, genau das zu tun, war mir als diplomiertem Nautiker und Profiskipper natürlich auch sofort gekommen.

Nur leider hatte der gute Sullivan Fischer, also ich, der Herr der Meere, vergessen, die Lady vor seiner Abfahrt nochmal aufzutanken. Dieses, weil ich leider auch zuvor versäumt hatte, den Benzinstand in den Tanks zu kontrollieren. Sowas lernt man normalerweise ja schon in der ersten Theoriestunde auf der Seemannsschule. Da hatte ich wohl gepennt. 

Als ich das dann allerdings erst auf dem offenen Meer später nachgeholt hatte, da war mir höchst unangenehm aufgefallen, dass der Tank nur noch zu einem lausigen Zehntel gefüllt war. Und diese Pfütze würde mich von hier aus und gegen diese mittlerweile extrem starke Strömung - hier war es der Golfstrom, der von Süden nach Norden an der Küste verläuft - wohl noch nicht mal zurück bis zur Hafeneinfahrt brummen lassen. Da mich wegen Benzinmangel abschleppen zu lassen, wohl das Peinlichste gewesen wäre, was mir als ehemaligem Fast-Kapitän zur See passieren konnte, versuchte ich nun alles, die Kraft des heftigen Windes jetzt so dosiert und geschickt zu nutzen, dass dieser einerseits die alte Lady und damit auch mich nicht versenkte, uns aber andererseits durch Kreuzen noch so nah wie möglich in Hafennähe blasen würde. Waren ja auch nur noch ca. fünf Meilen. Vielleicht aber genau fünf Meilen zu viel…

Dann passierte es.

Gerade als ich weit über der Bordwand des Backbordhecks der Esperanza förmlich in den Seilen hing und krampfhaft versuchte, den stark über Steuerbord krängenden Segler waagerecht zu halten, hörte ich ein Geräusch, welches mir gar nicht gefiel. Mich jetzt sogar in leichte Panik versetzte.

Ich hörte das so typische Geräusch, welches erklingt, wenn eine Leine reißt. In meinem Fall eine der Schoten des Großsegels. Das große Ruder konnte ich aus meiner jetzigen Position nicht erreichen, also zog ich die lange, so schon schwer zu haltende Ruderpinne mit aller Kraft an mich heran, um das Boot schnellstens vom Wind abzudrehen. Gleichzeitig gab ich der Schot für das Großsegel Stück für Stück nach, löste die Vorschot schließlich ganz und hoffte dadurch nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam der Esperanza förmlich die Luft aus den Segeln zu nehmen. Und damit auch die Zugkraft der Schoten. Der Grund, dass es schief ging, war nicht, und dieses bitte bei aller Bescheidenheit, dass ich etwa so ein schlechter Segler war - nein, es lag tatsächlich an Materialversagen. Schlechter Wartung. Unkenntnis des Besitzers. Nicht-Überprüfung des Skippers?

Okay, es war wohl doch auch meine Schuld. Zu diesem Schluss gelangte ich genau in dem Moment, in dem die Schot endgültig riss, der Baum samt Großsegel wie ein Geschoss Richtung Vorschiff flog, dann mit einem lauten Knall stoppte, um dann noch schneller wieder zurück und weit über die Steuerbordseite hinaus, in meine Richtung und über das Achterdeck zurückzukatapultieren.

Durch die schnelle Vorwärtsbewegung des Baumes hatte sich kurzeitig fast das gesamte Heck der Esperanza aus dem Wasser gehoben, ich war dadurch wiederum hoch in die Luft geflogen und landete nun zum Glück nicht im Meer, sondern unsanft auf den harten Holzplanken, kurz vor dem Kabinenuntergang.

Und dabei hatte mich der geschossartig fliegende Baum samt Segel nur knapp verfehlt. Trotzdem hatte mich gerade irgendwas am Kopf getroffen. Der Baum war es ja nicht gewesen, sonst wäre ich jetzt Geschichte. Nein, es war eine der kleinen Holzwinden, die an beiden Seiten des Decks befestigt waren und durch die normalerweise die Schoten geführt wurden. Die hatten sich also auch verabschiedet. Für einen kurzen Moment war ich leicht weggetreten, kam aber schnell wieder zu mir. Das Boot hüpfte jetzt wie wild auf den reichlich an Höhe gewinnenden Wellen auf und ab und ich hatte dadurch jetzt arge Probleme, mich wieder aufzurichten. Als ich es dann endlich mit aller Mühe doch schaffte, erfüllte mich das, was ich nun sehen musste, auch nicht gerade mit Freude; auch wenn ich nicht mit dem Kahn gekentert war, war der Anblick des tatsächlich abgebrochenen und jetzt halb im Meer hängenden Masts nun kein wirklicher Trost.

Shit, dachte ich, und sowas passiert ausgerechnet mir. Da lacht ja ganz Florida, wenn ich so wieder in der Marina einlaufe. Und wie bringe ich das Kenneth bei, der wird doch wahnsinnig. Gerade weil er das ja eigentlich als Kriegsveteran sowieso schon war. Naja, kommt er schon drüber weg, beruhigte ich mich jetzt selber. Dann sammelte ich mich wieder, sah aber auch, dass die Strömung das Boot schon mächtig anschob, dieses allerdings in die falsche Richtung, also hoffte ich jetzt nur noch auf den Motor. Und auf den vermeintlichen Restalkohol im Tank. So wie es Tropenstürme in dieser Region so an sich hatten, hatte sich mein eben Durchlebter genauso schnell wieder verpisst, wie er gekommen war, und ne knappe Stunde später stand ich bei wieder klarem Himmel und lauem Lüftchen an der Pier, in der Fort Lauderdale Harbour Marina.

Vor dem Liegeplatz der Esperanza. Meinen Kopf leicht nach links abgesenkt. Wäre ich mental labiler gewesen, hätte ich jetzt wohl sogar ein Tränchen verdrückt. So traurig sah die alte Lady da vor mir gerade aus.

Mit gebrochenem Mast, dieser nun quer über dem Achterdeck liegend, drumherum nur noch Fetzen von Leinen und Segeltuch, aber… immer noch schwimmend. Und wieder fest an allen Seiten an den Vertäuungsstämmen des

Docks festgemacht. Dabei hatte mir mein italienischer Ex-Nachbar und Halblandsmann geholfen. Und leider nicht nur das. Nachdem ich ihn, ganz klein mit Hut, angerufen hatte, war er mir auch prompt mit dem Zodiak, welcher zu seiner Motoryacht gehörte, zu Hilfe gekommen. Er hatte mich knapp hinter der Hafeneinfahrt ins Schlepptau genommen und mich und die Esperanza dann bis hier in die Marina gezogen. Das Benzin im Tank der Esperanza hatte natürlich nicht gereicht. War mir das peinlich. Jetzt stand er neben mir und schaute auch auf das Häufchen Elend da vor uns. Den Tränen war dieser Macho aber auch nicht nah. Im Gegenteil, der schüttelte nur den Kopf und grinste sich dabei sogar noch eins. Und vor dem musste ich mich so blamieren, dachte ich, war aber auch gleichzeitig froh, dass die Marina ansonsten fast menschenleer war, als wir hier reingedümpelt waren. Dass ihn die Nummer sogar amüsierte, konnte ich ihm auch nicht wirklich verübeln, ich musste ja dankbar sein, auch dafür, dass er mir sogar noch mit einem Druckpflaster für meine Platzwunde über meinem rechten Auge ausgeholfen hatte. Anders als auf der Esperanza, gab es nämlich auf seinem Bötchen einen üppig bestückten Verbandskasten.

So, wie es sich gehörte und sogar Gesetz war.

Für mich war dieser Morgen damit also schon mal gelaufen. Richtig angepisst war ich. Nicht wegen Kenneth; außer dass der und die anderen mich mit der Nummer wohl auf ewig aufziehen würden, würde er das ansonsten bestimmt eher locker sehen und den Schaden würde ich ihm sowieso bezahlen. Oder war dieser Drecksdampfer sogar versichert? Keine Ahnung. Aber unwahrscheinlich. Nein, ich ärgerte mich über mich selbst. Heute Morgen waren mir definitiv schon zu viele Fehler unterlaufen. Und das sah mir eigentlich so gar nicht ähnlich. Andere hielten mich sogar für einen Perfektionisten. Okay, bis sie mich dann näher kennenlernten. Aber im Ernst, kennen Sie das, wenn einen die totale Unzufriedenheit über sich selbst überkommt?

So fühlte ich mich jedenfalls gerade. Oder ich machte mir mal wieder zu viele und zu dumme Gedanken, wie leider nur zu oft. Musste ich mal dran arbeiten.

Ich verabschiedete mich freundlich von meinem neuen besten Freund Luigi, bat ihn noch, die Sache doch möglichst für sich zu behalten, warf dann noch einen letzten Blick auf das Opfer meiner Dummheit und schwang mich dann auf meine Triumph. Momentan war ich mal wieder auf dem Motor-Bike-Trip und bewegte meinen alten 72er Pontiac Trans Am eher selten. Gut, je mehr ich dieses Schmuckstück schonte, umso länger blieb es mir auch erhalten.

Oder auch der Cash-Wert…

Dieses ungeplante Desaster hatte mich natürlich sehr viel Extrazeit an diesem Morgen gekostet und gerade heute hatte ich zu einem Management-Meeting-Frühstück ins Da Franco geladen. Um ein bisschen motivierendes Teambuilding zu praktizieren und um alle mal wieder auf den neuesten Stand der Gesamtgeschäftslage aller fünf Läden zu bringen. Das Da Franco war das erste Restaurant von Don Franco gewesen, somit auch bis heute sein Flaggschiff und Baby. Auch brachte es uns immer noch den größten Umsatz, es war der Szenetreff hier in Fort Lauderdale. Alleine die Bar war wohl die längste in der Stadt und die insgesamt hundertfünfzig Sitzplätze waren fast immer voll belegt. Mit den oberen Zehntausend versteht sich. Von allen fünf Geschäften, die ich für Franco kontrollierte, war dieses daher auch von höchster Priorität für mich. Außer die geile Bar hier in Fort Lauderdale, Sully’s Nest, das war mein Baby. 

Um zehn Uhr sollten alle fünf Manager da sein und jetzt war es schon kurz nach neun. Und ich musste noch duschen. Und meine Birne weiter verarzten. Also gab ich Gas und versuchte die jüngsten Bilder der Esperanza aus meinem Kopf zu verbannen. Als ich gerade an der Kreuzung A1A und Sunrise Boulevard an der Ampel halten musste, kam mir komischerweise ein altes Sprichwort in den Sinn:

Ein Unglück kommt selten allein.

Na, dann gute Nacht…


``Gooood Mooorning S O U T H  F l o r i d a!!!   And good Morning friends of the golden rockin`roll classics, here on One-O-Two-Point-Seven, South Florida`s number one oldie station!! This is your music coach Lenny and I hope you folks are all wakin up smoothly on this fine sunny Sunday Mornin! For those of you who are suffering an expensive hang-over from last party Saturday night, I feel with you, but don’t feel sorry, we only live ones and life should be just ONE big party!! So let`s continue right here, with the great FOUR TOPS and one of their greatest hits of the sixties, I CAN`T HELP MYSELF…

H e r r l i c h !!! So macht Aufwachen doch spaß. Und diesen Spaß hatte ich jeden Morgen hier in meinem geliebten Sunshine State, Florida. Jeden Morgen um Punkt sechs schrie mich der gute Lenny aus den Lautsprechern meines kleinen Radioweckers und von meinem Nachttisch aus an und riss mich so aus meinen Träumen. Oder auch Alpträumen.

Kam immer drauf an, wie ``flüssig`` der letzte Abend verlaufen war. Alpträume hatte ich, anders als früher, mittlerweile immer nach eher trockenen Abenden. Ja und heute Nacht hatte ich mal wieder recht schöne Träume gehabt, wenn Sie verstehen…

Mir ging es zurzeit richtig gut und ich war mit mir und der Welt ganz und gar im Reinen. Und das schon seit fast einer ganzen Woche. Zwar war es jetzt Anfang Dezember und somit hatte auch die Hauptsaison hier in Florida schon begonnen, dennoch liefen die fünf gastronomischen Betriebe, die ich hier mittlerweile seit drei Jahren managte, ohne wirklichen Stress. Die zahlreichen Wintertouristen und Winter-Residenten fielen hier auch noch nicht alle auf einmal ein und ich hatte seit langem endlich mal so etwas wie Normalität in meinem Leben; Ich hauste auch nicht mehr auf der alten Esperanza von Kenneth, sondern war inzwischen wieder in mein Apartment, in Strandnähe eingezogen. Natürlich nachdem mir die Kammerjäger grünes Licht dafür gegeben hatten. Das unschöne Hafengemetzel mit den Mafiosi vor ein paar Wochen hatten meine Freunde und ich mittlerweile auch gut verarbeitet. Auch die Wunde von dem Streifschuss an meinem Arm war ebenfalls wieder bestens verheilt. Und ich war jetzt mal wieder ganz für mich alleine; Kenneth und Domenic waren sich bei unserem letzten Abenteuer offensichtlich freundschaftlich so nah gekommen, dass sie kürzlich sogar zu einem gemeinsamen Trip, hoch nach North Carolina aufgebrochen waren. Wohl um dort ihren Wintervorrat an Gras aufzustocken, wie ich vermutete.

Der gute Nick wiederum war schon seit einiger Zeit oben in Palm Beach und kümmerte sich dort rührend um seine alleinstehende Frau Mama und auch diese plötzliche Fürsorglichkeit war wohl auf die jüngsten Geschehnisse zurückzuführen. Ja, und Don Franco, also Flavio Franco, mein Arbeitgeber und Freund, der hatte sich, wie er es immer mal wieder tat, auch kürzlich irgendwohin verpieselt. Wohin hatte er mir nicht mitgeteilt, was er eigentlich auch selten tat. Wahrscheinlich genoss er es, ab und zu mal ganz verdeckt abzutauchen. Und das gönnte ich ihm, ich war da ja nicht viel anders. Und dann war da ja noch Natalie; An die musste ich tatsächlich ständig denken, was mir wiederum schon zu denken gab. Auch wunderte ich mich über mich selbst, dass ich ihren einzigen Anruf vor ein paar Tagen, den ich eigentlich sehnsüchtig erwartet hatte, nicht angenommen und dann auch noch nicht mal zurückgerufen hatte. Manchmal war ich mir selbst ein Rätsel. Momentan genoss ich also einfach meine entspannte und besinnliche Einsamkeit.

So wie auch an diesem Morgen. Trotz später Gesangs -und Gitarreneinlage am Vorabend in Sully`s Nest, eine der beiden Bars, die ich für Franco leitete, fühlte ich mich überraschend fit und klar im Köpfchen.

Gott lobe den Gerstensaft.

Ich überstand mein morgendliches Workout-Pensum gut und ohne Herzattacke und brach dann zu einem spontanen Segeltrip mit der Esperanza auf.

Und das schon zum dritten Mal in den letzten zwei Wochen.

Ja, komischerweise hatte ich den alten Einmaster schon nach ein paar Tagen nach meiner Abmusterung so vermisst, dass ich seitdem auch schon wieder zweimal auf ihr übernachtet hatte. Ok, der Elbo Room, meine Lieblingsbar für bierliche und fröhliche Stunden in Fort Lauderdale, lag ja auch fast in Spuckweite gegenüber der Marina, in der die gute alte Lady fest vertäut lag.

Ja, und Sie folgern da richtig, ich war also kürzlich schon wieder zweimal so richtig versackt. Jetzt sagen Sie aber bitte nicht, so kennen wir Dich doch…  

Für meinen Kumpel Kenneth, dem die Lady ja gehörte, war es jedenfalls ok, dass ich sein Bötchen weiterhin nutzte, nur hatte er mich eindringlich gebeten, mich mit ihr bei gelegentlichen Ausfahrten nicht genauso hart am Wind zu bewegen, wie er es von mir auf unseren gemeinsamen Segeltörns auf anderen, nur gemieteten Seglern kannte. Ein bisschen Muffen hatte er also schon um seine Yacht.

Den alten Kasten…

Und wie sich heute herausstellen sollte, wohl auch nicht ganz zu Unrecht…

Am Anfang war ich noch schön gemütlich bei angenehmen fünfundzwanzig Grad und unter nur leicht bewölktem, fast blauem Himmel und bei angenehmen und stetigen Nord-Ostwind die Küste entlang gesegelt. Mit Kurs nach Süden, Richtung Miami. Dieses bei nicht mehr als sieben bis acht Knoten Fahrt.

Doch jetzt, als ich den Kurs wieder nach Norden und damit Richtung Heimat änderte, da zog sich zu meiner Überraschung plötzlich der Himmel über mir, wie aus dem Nichts bedenklich zu. Der Wind frischte gleichzeitig heftig auf, drehte und verlagerte sich nun mehr aus Nordwest kommend und statt nur schön stetig zu püsteln, schleuderte er mir und der Esperanza jetzt knallharte Böen um die Ohren. Und in die Segel. Gar nicht gut. Dabei ließen sie sowohl den Mast und den Baum, sowie eigentlich auch den gesamten Holz-Kahn laut und heftig knarren und vibrieren. Und ich kämpfte wie ein Blöder mit den Schoten, um das Boot und mich zum einen vorm Kentern zu bewahren und zum anderen aber noch weiterhin genügend Fahrt zu machen, um nicht von der auch stärker gewordenen Westströmung weit auf den Atlantik hinaus getrieben zu werden. Da mittlerweile auch noch heftiger Regen eingesetzt hatte, war ich schon völlig durchnässt, meine Hände vom Durchrutschen der rauen Tampen sowieso schon halb blutig gerieben und die Arme konnte ich auch kaum noch spüren. Großartig. Und ich schwöre Ihnen, von dieser stürmischen Entwicklung stand nichts im Wetterbericht. Bestimmt nicht. Nicht, dass ich ihn gelesen hätte…

Warum holt der das Groß -und das Vorsegel denn nicht einfach ein, wirft den Motor an und tuckert ganz unangestrengt wieder Richtung Hafeneinfahrt, dann auf die Intracoastal und zurück zum Liegeplatz in die Marina?

Genau das fragen Sie sich doch jetzt gerade!? 

Ja, liebe Freunde, dieser Gedanke, genau das zu tun, war mir als diplomierter Nautiker und Profiskipper natürlich auch sofort gekommen.

Nur leider hatte der gute Sullivan Fischer, also ich, der Herr der Meere, vergessen die Lady vor seiner Abfahrt nochmal aufzutanken.

Dieses weil ich leider auch zuvor versäumt hatte den Benzinstand in den Tanks zu kontrollieren. Sowas lernt man normalerweise ja schon in der ersten Theoriestunde auf der Seemannsschule. Da hatte ich wohl gepennt.  

Als ich das dann allerdings erst auf dem offenen Meer später nachgeholt hatte, da war mir höchst unangenehm aufgefallen, dass der Tank nur noch zu einem lausigen Zehntel gefüllt war. Und diese Pfütze würde mich von hier aus, und gegen diese mittlerweile extrem starke Strömung, hier war es der Golfstrom, der von Süden nach Norden an der Küste verläuft, wohl noch nicht mal zurück bis zur Hafeneinfahrt brummen lassen.

Und da mich wegen Benzinmangel Abschleppen zu lassen, wohl das Peinlichste gewesen wäre, was mir als ehemaliger Fast-Kapitän zur See passieren konnte, versuchte ich nun alles, die Kraft des heftigen Windes jetzt so dosiert und geschickt zu nutzen, dass dieser einerseits die alte Lady und damit auch mich nicht versenkte, uns aber andererseits durch Kreuzen noch so nah wie möglich in Hafennähe blasen würde.

Waren ja auch nur noch ca. fünf Meilen.

Vielleicht aber genau fünf Meilen zu viel…

Und dann passierte es. Gerade als ich weit über der Bordwand des Backbordhecks der Esperanza förmlich in den Seilen hing und krampfhaft versuchte den stark über Steuerbord kränkenden Segler waagerecht zu halten, hörte ich ein Geräusch, welches mir gar nicht gefiel. Mich jetzt sogar in leichte Panik versetzte. Ich hörte das so typische Geräusch, welches erklingt, wenn eine Leine reist. In meinem Fall eine der Schoten des Großsegels. Das große Ruder konnte ich aus meiner jetzigen Position nicht erreichen, also zog ich die lange, so schon schwer zu haltende Ruderpinne mit aller Kraft an mich heran, um das Boot schnellstens vom Wind abzudrehen. Gleichzeitig gab ich der Schot für das Großsegel Stück für Stück nach, löste die Vor-Schot schließlich ganz und hoffte dadurch nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam der Esperanza förmlich die Luft aus den Segeln zu nehmen. Und damit auch die Zugkraft von den Schoten.

Der Grund, dass es schief ging, war nicht, und dieses bitte bei aller Bescheidenheit, dass ich etwa so ein schlechter Segler war, nein, es lag tatsächlich an Materialversagen. Schlechter Wartung. Unkenntnis des Besitzers. Nicht-Überprüfung des Skippers?

Ok, es war wohl doch auch meine Schuld.

Zu diesem Schluss gelangte ich genau in dem Moment, in dem die Schot endgültig riss, der Baum samt Großsegel wie ein Geschoss Richtung Vorschiff flog, dann mit einem lauten Knall stoppte, um dann noch schneller wieder zurück, weit über die Steuerbordseite hinaus, in meine Richtung und über das Achterdeck zurück zu katapultieren.

Durch die schnelle Vorwärtsbewegung des Baumes hatte sich kurzeitig fast das gesamte Heck der Esperanza aus dem Wasser gehoben, ich war dadurch wiederum hoch in die Luft geflogen und landete nun zum Glück nicht im Meer, sondern unsanft auf den harten Holzplanken, kurz vor dem Kabinenuntergang.

Und dabei hatte mich der geschossartig fliegende Baum samt Segel nur knapp verfehlt.

Und trotzdem hatte mich gerade irgendwas am Kopf getroffen. Der Baum war es ja nicht gewesen, sonst wäre ich jetzt Geschichte. Nein, es war eine der kleinen Holzwinden, die an beiden Seiten des Decks befestigt waren und durch die normalerweise die Schoten geführt wurden.

Die hatten sich also auch verabschiedet.

Für einen kurzen Moment war ich leicht weggetreten, kam aber schnell wieder zu mir. Das Boot hüpfte jetzt wie wild auf den reichlich an Höhe gewonnen Wellen auf und ab und ich hatte dadurch jetzt arge Probleme, mich wieder aufzurichten.

Als ich es dann endlich mit aller Mühe doch schaffte, erfüllte mich das, was ich nun sehen musste auch nicht gerade mit Freude; Auch wenn ich nicht mit dem Kahn gekentert war, war der Anblick des tatsächlich abgebrochenen und jetzt halb im Meer hängenden Mast nun kein wirklicher Trost.

Shit, dachte ich, und sowas passiert ausgerechnet mir. Da lacht ja ganz Florida, wenn ich so wieder in der Marina einlaufe. Und wie bringe ich das Kenneth bei, der wird doch wahnsinnig. Gerade weil er das ja eigentlich als Kriegsveteran sowieso schon war. Naja, kommt er schon drüber Weg, beruhigte ich mich jetzt selber.

Dann sammelte ich mich wieder, sah aber auch, dass die Strömung das Boot schon mächtig anschob, dieses allerdings in die falsche Richtung, also hoffte ich jetzt nur noch auf den Motor. Und auf den vermeintlichen Restalkohol im Tank.

So wie es Tropenstürme in dieser Region so an sich hatten, hatte sich mein eben Durchlebter genauso schnell wieder verpisst, wie er gekommen war und ne knappe Stunde später stand ich bei wieder klarem Himmel und lauem Lüftchen an der Pier, in der Fort Lauderdale Harbour Marina. Vor dem Liegeplatz der Esperanza. Meinen Kopf leicht nach links abgesenkt. Wäre ich mental labiler gewesen, hätte ich jetzt wohl sogar ein Tränchen verdrückt. So traurig sah die alte Lady da vor mir gerade aus.

Mit gebrochenem Mast, dieser nun quer über das Achterdeck liegend, drumherum nur noch Fetzen von Leinen und Segeltuch, aber…, immer noch schwimmend. Und wieder fest an allen Seiten an den Dockstämmen vertäut.

Dabei hatte mir mein italienischer Ex-Nachbar und Halblandsmann geholfen.

Und leider nicht nur das; Nachdem ich ihn, ganz klein mit Hut, angerufen hatte, war er mir auch prompt mit dem Zodiak, welches zu seiner Motoryacht gehörte, zu Hilfe gekommen. Er hatte mich knapp hinter der Hafeneinfahrt ins Schlepptau genommen und mich und die Esperanza dann bis hier in die Marina gezogen.

Das Benzin im Tank der Esperanza hatte natürlich nicht gereicht. War mir das peinlich. Jetzt stand er neben mir und schaute auch auf das Häufchen Elend da vor uns. Den Tränen war dieser Macho aber auch nicht nah.

Im Gegenteil, der schüttelte nur den Kopf und grinste sich dabei sogar noch eins. Und vor dem musste ich mich so blamieren, dachte ich, war aber auch gleichzeitig froh, dass die Marina ansonsten fast menschenleer war, als wir hier reingedümpelt waren.

Dass ihn die Nummer sogar amüsierte, konnte ich ihm auch nicht wirklich verübeln, ich musste ja dankbar sein, auch dafür, dass er mir sogar noch mit einem Druckpflaster für meine Platzwunde über meinem rechten Auge ausgeholfen hatte. Anders als auf der Esperanza, gab es nämlich auf seinem Bötchen einen üppig bestückten Verbandskasten.

So, wie es sich gehörte und sogar Gesetz war.

Für mich war dieser Morgen damit also schon mal gelaufen. Richtig angepisst war ich. Nicht wegen Kenneth; Außer dass der und die anderen mich mit der Nummer wohl auf ewig aufziehen würden, würde er das ansonsten bestimmt eher locker sehen und den Schaden würde ich ihm sowieso bezahlen. Oder war dieser Drecksdampfer sogar versichert? Keine Ahnung. Aber unwahrscheinlich. Nein, ich ärgerte mich über mich selbst. Heute Morgen waren mir definitiv schon zu viele Fehler unterlaufen.

Und das sah mir eigentlich so gar nicht ähnlich. Andere hielten mich sogar für einen Perfektionisten. Ok, bis sie mich dann näher kennenlernten. Aber im Ernst, kennen Sie das, wenn einen die totale Unzufriedenheit über sich selbst überkommt? So fühlte ich mich jedenfalls gerade. Oder ich machte mir mal wieder zu viele und zu dumme Gedanken, wie leider nur zu oft.

Musste ich mal dran arbeiten.

Ich verabschiedete mich freundlich von meinem neuen besten Freund Luigi, bat ihn noch, die Sache doch möglichst für sich zu behalten, warf dann noch einen letzten Blick auf das Opfer meiner Dummheit und schwang mich dann auf meine Triumpf.

Momentan war ich mal wieder auf dem Motor-Bike-Trip und bewegte meinen alten 72er Pontiac Trans Am eher selten. Gut, je mehr ich dieses Schmuckstück schonte, umso länger blieb er mir auch erhalten.

Oder auch der Cash-Wert…

Dieses ungeplante Desaster hatte mich natürlich sehr viel Extrazeit an diesem Morgen gekostet und gerade heute hatte ich zu einem Management-Meeting-Frühstück ins Da Franco geladen. Um ein bisschen motivierendes Teambuilding zu praktizieren und um alle mal wieder auf den neuesten Stand der Gesamtgeschäftslage aller fünf Läden zu bringen.

Das Da Franco war das erste Restaurant von Don Franco gewesen, somit auch bis heute sein Flaggschiff und Baby.

Auch brachte er uns immer noch den größten Umsatz, es war der Scene-Treff hier in Fort Lauderdale. Alleine die Bar war wohl die längste in der Stadt und die insgesamt hundertfünfzig Sitzplätze waren fast immer voll belegt. Mit den oberen Zehntausend versteht sich. Von allen fünf Geschäften, die ich für Franco kontrollierte, war dieser daher auch von höchster Priorität für mich. Außer die geile Bar hier in Fort Lauderdale,

Sully`s Nest, das war mein Baby.

Um zehn Uhr sollten alle fünf Manager da sein und jetzt war es schon kurz nach neun. Und ich musste noch duschen. Und meine Birne weiter verarzten. Also gab ich Gas und versuchte die jüngsten Bilder der Esperanza aus meinem Kopf zu verbannen. Als ich gerade an der Kreuzung A1A und Sunrise Boulevard an der Ampel halten musste, kam mir komischerweise ein altes Sprichwort in den Sinn;

Ein Unglück kommt selten allein…

Na, dann gute Nacht.


ENDE LESEPROBE Kapitel I


Sullivan Fischer

Band III - DER OFFIZIER,

by Eddy Cane


1

Fort Lauderdale Beach, Florida - morgens um halb acht…

 

Er saß einfach nur so da. Ungefähr fünf Meter vor mir. Und schaute mich an. Nein, er starrte mich förmlich an. Er starrte mir direkt in die Augen. Was für ein Blick. Als könnte er töten. Und das konnte mein Gegenüber bestimmt, da war ich mir sicher. Er war extrem kräftig gebaut, mit Muskeln bepackt und kein Gramm Fett war an seinem durchtrainierten Körper zu sehen. Und dann der Kopf; Breites, massives Kinn, extrem kantige Wangenknochen, und dann diese stechenden, bedrohlichen, dunklen Augen. Dazu fast kurzgeschorenes, hellbraunes Haar. Ich starrte zurück. Versuchte aber körpersprachlich eher versöhnlich zu wirken. Irgendwie hatte er es auf mich abgesehen. Aber warum? Hatte ihm doch nichts getan. Ich saß hier doch nur ganz friedlich auf meiner Strandbank, nippte genüsslich an meinem 7Eleven Filterkaffee To Go und genoss den Blick auf den vor mir liegenden Atlantik und die frische Meeresbrise. Und machte mir meine Gedanken über den kulturellen Untergang der Welt, der wohl nicht mehr zu stoppen war.

Das tat ich fast jeden Morgen um diese Uhrzeit.

Ihn hatte ich hier zuvor noch nie gesehen. Wäre mir schon aufgefallen, dieser stämmige Typ.

Jetzt erhob er sich plötzlich. Und wirkte stehend noch mächtiger und noch bedrohlicher. Dann setzte er sich in Bewegung. Und kam tatsächlich direkt auf mich zu. Mit mit sehr langsamen und zielstrebigen Schritten.

Und genau das wirkte jetzt echt alarmierend. Gefahr im Verzug. Das Gefühl kannte ich ja nur zu gut, wie Sie natürlich wissen.

Er starrte er mich weiter an, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hielt seinem Blick stand. Dachte gar nicht daran, ihm auszuweichen. Und auch sonst rührte ich mich kein Stück und verzog keine Miene. Dann blieb er stehen. Genau vor mir. Mein Körper spannte sich an. Ich war auf alles gefasst.

Blieb aber immer noch bewegungslos sitzen.

Dann senkte er abrupt seinen Blick, trat dabei aber noch ein Stück näher an mich heran, und dann…, dann schob er ganz gemächlich seinen dicken Kopf zwischen meine Beine…

Ich ließ ihn gewähren und er fing wie wild an zu schnüffeln. Und das bedenklich nah an meinem besten Stück. Kurz, aber heftig.

Dann bewegte er sich wieder einen Schritt zurück, hob seinen Kopf, blickte mir wieder in die Augen, diesmal aber fast schon sanft und freundlich, und legte dabei behutsam seine rechte Pfote auf mein linkes Knie.

Dieses Prachtexemplar von einem Hund…

Der Grund, warum ich die ganze Zeit über so ruhig geblieben war, zumindest äußerlich, war, dass ich mit Hunden aufgewachsen bin und ich mich somit mit selbigen und deren Verhaltensweisen ziemlich gut auskannte. So auch mit den verschiedensten Hunderassen. Allerdings hatten meine Schöpfer fast ausschließlich Kampfhunde gehalten, zum Beispiel Dobermänner und Rottweiler. Hauptsächlich als wachhabende Angestellte für ihre gastronomischen Betriebe. Der Kollege hier vor mir wiederum, sah zwar so aus wie ein Kampfsportler, war aber nicht wirklich einer. Zumindest nicht zu hundert Prozent. Ich schätzte, dass er das Ergebnis einer romantischen Begegnung eines Boxers und eines Cane Corso. Vielleicht sogar noch mit einer dritten Rasse, vielleicht sogar eines Labradors gemischt. Also nicht, dass ich da von einem heißen Dreier sprechen möchte, naja, Sie wissen wohl, was ich meine. Jedenfalls war mein neuer Freund hier ein Mischling und bestimmt nicht älter als zwei Jahre. Und ein Rüde, wie wahrlich unschwer erkennbar war. Da konnte man schon fast neidisch werden.

Auf jeden Fall hatte er Charakter und eine starke, aber auch sensible und freundliche Ausstrahlung.

Jetzt zumindest.

Und das gefiel mir schonmal. Er gefiel mir.

Ok, ob wir noch Freunde werden würden, dass musste sich erst noch herausstellen. Witzigerweise hatte ich immer, wenn ich mal wieder vorgehabt hatte, mir endlich einen Hund zuzulegen, genau so einen vor meinen Augen gehabt. Hatte ich aber immer wieder verschoben. Unverständlich. Na gut, bei meinem bisherigen Lebenswandel…

Aber wer war der Kräftige jetzt eigentlich? Wo kam er her? Ich stand auf, ging ein paar Schritte weiter auf den Strand und blickte mich dabei um. Niemand zu sehen. Kein offensichtliches Herrchen zumindest. Und rufen tat auch keiner nach ihm. Wie ich jetzt sah, war der nun Nette mir gefolgt, und stand ganz nah rechts neben mir. Bei Fuß. Und fing plötzlich an zu bellen. Nicht extrem laut, oder unangenehm, nein, eher ein eindringliches, kraftvolles Bellen. So, als wollte er mir irgendetwas Wichtiges mitteilen. Dabei blickte er mir wieder tief in die Augen. Oh, dachte ich, der bittet mich wohl gerade um Hilfe…

Ich bückte mich leicht, hielt ihm meine Hand hin und er nahm die Einladung an.

Er kam wieder ganz nah an mich heran und, und das war das Erstaunliche, statt an meiner Hand zu schnüffeln oder zu lecken, wie ich es erwartet hätte, hob er wie wild immer wieder seine rechte Pfote und tätschelte mein Pfötchen damit. Und ich schaute mir dabei erstmal seinen kräftigen Nacken an. Auf der Suche nach einem Halsband. Und hoffte somit auf seinen Namen und eventuell sogar eine Adresse oder eine Telefonnummer. Aber nichts. Keine Erkennungsmarke. War also auch kein Ex-Marine. Aber ein herrenloser Hund, hier in dieser Gegend? Dann war der Lausbengel wohl ausgebüxt. Hatte den Flitzer gemacht. Und warum das wieder? War sein Herrchen ein Arschloch? Würde ich mich wohl nach dieser innigen Begegnung von überzeugen müssen.

Ihn einfach mitnehmen, ihm einen geilen Namen geben und dann so tun, als wär er Familie, dass ging ja wohl auch nicht. Könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.

Jetzt kniete ich mich direkt vor ihn und streichelte kräftig und beruhigend seinen Kopf. Sofort hörte er auf zu bellen, zeigte Respekt und setzte sich. Tja, was soll ich sagen, ich konnte eben gut mit Hunden und wusste stets, den Rudelführer zu geben, denn das war letztlich das, was alle Hunde wollten. Einen Leader. Einen Boss. Der sie leitete und bei dem sie sich sicher fühlen konnten. Also fast so, wie bei den Frauen, auch wenn diese das heute nur noch selten und ungern zugeben mochten. ``Ruhig, mein Großer, ganz ruhig``, sagte ich mit meiner tiefen Stimme und in einem sanften Ton, ``was willst du mir denn sagen? Wo kommst du eigentlich her?``

Dann entzog er mir sein Köpfchen, wich gleich zwei Schritte zurück, schaute mich dabei weiter an, drehte sich dann aber um, lief weitere vier bis fünf Schritte von mir weg und blieb dann wieder stehen.

Und drehte sich wieder zu mir um.

Und bellte wieder. Kurz und abgehackt. So, als wollte er mich rufen. Ja, ich glaube, genau das tat mein neuer Freund gerade, er rief mich.

Also richtete ich mich auf und bewegte mich auf ihn zu.

Und schon das schien ihn zu erfreuen, er wedelte mit dem Schwanz. Dann lief er wieder los. Und blieb wieder stehen. Und drehte sich wieder zu mir um.

Und ich wusste genau, was das bedeutete. Was er wollte. Er wollte, dass ich ihm folgte. Und das tat ich. Nicht, weil er jetzt mein Rudelführer geworden war, nein, ich spürte, dass da irgendwas im Busch war. Es schien, als war er zu mir gekommen, weil er, oder jemand anderes, Hilfe brauchte.

Es musste wichtig sein. Eine Herzensangelegenheit für ihn. Sonst hätte er mich wohl nicht erst so genau abgecheckt, nach dem Motto, erstmal sehen, ob du auch ein Guter bist, bevor du mir helfen darfst.

Fand ich cool. Ich schmiss meinen Pappbecher in einen Müllcontainer und ging weiter auf ihn zu. Als er nun anfing zu laufen, tat ich es ihm gleich und joggte hinter ihm her. Im Lauf drehte er sich immer wieder um, sah zufrieden, dass ich tat, was er wollte, und erhöhte dann seine Pace. Der Sack, dachte ich, jetzt fängt der auch noch an zu rennen. Aber gut, war wohl dringend. Obwohl er noch viel schneller konnte, schaute er immer wieder zurück und schien sich selber zu bremsen, um mich nicht aus Versehen abzuhängen. Ja und ich, ich gab alles. So schnell war ich schon ewig nicht mehr die Strandpromenade entlang gehetzt.

Entspannt joggen ja, aber sprinten war dann doch nicht so mein Ding, warum auch? In der Ruhe lag ja die Kraft. Und körperlich nötig hatte ich das auch nicht, war für mein Alter immer noch top fit. Nicht zuletzt durch mein langjähriges Kampsport -und Fußballtraining in meiner Jugend.

So trabte ich nun gute drei Minuten auf dem kleinen Strandweg Richtung Norden hinter ihm her. Von anderen Strand-Frühsportlern weit und breit keine Spur.

Gut, es war immerhin Ende Februar, noch vor acht und immer noch relativ kühl für floridianische Verhältnisse. Ca. dreizehn, vierzehn Grad. Zwar war am Himmel kein einziges Wölkchen zu sehen, aber die Sonne war eben gerade erst aufgestiegen und hing noch ziemlich tief über dem östlichen Horizont.

Es ging vorbei an den etlichen, schönen Strandhäusern zu unserer Linken.

Und dann kam ohne Ankündigung der Ausfallschritt. Von dem, der führte, nicht von mir. Mit einer körperlichen Lässigkeit, die man ihm bei seiner Statur gar nicht zugetraut hätte, sprang er plötzlich aus dem Lauf heraus nach links und über einen steinernen, gut einen Meter hohen Gartensims.

Direkt auf die Terrasse eines dieser eben erwähnten netten Strandhäuschen. Dann verharrte er, drehte sich wieder zu mir um, wohl in der Vorahnung, dass ich das Hindernis nicht ganz so schnell bewältigen würde, besser gesagt, könnte, wie er. Und er hatte Recht. Außerdem zögerte ich vor der kleinen Steinmauer. Aus gutem Grund. In den USA kann man nämlich schnell mal von einer Ladung Schrot durchlöchert werden, wenn man uneingeladen ein fremdes Grundstück betrat. Zwar war Kenny, so nannte ich meinen neuen Kumpel jetzt einfach mal, hier ja eventuell zu Hause und lud mich gerade offiziell ein, sicher war das aber momentan überhaupt noch nicht. Also checkte ich erstmal den vor mir liegenden Garten und das Haus ab.

Ein penibel gepflegter Pool, ein paar Liegestühle, ein kleiner Gartentisch mit vier Stühlen drumherum und viele Pflanzen und Blumen.

Alle fachmännisch gepflegt.

So, wie ich das als alter Leien Gärtner beurteilen konnte.

Das Haus selbst war ein einstöckiges Einfamilienhaus. Mit schneeweißen Außenwänden, mit Kiefernholz verkleideten Fenstern, so wie auch die weit offenstehende Terrassen-Schiebetür.

Von menschlichen Bewohnern keine Spur.

Aber Licht drang aus dem linken der insgesamt zwei Fenster.

Kenny stand immer noch da, blickte mich erwartungsvoll an und schien sagen zu wollen:

Na komm schon Alter, sei nicht feige und komm rüber zu mir.

Ich versicherte mich nochmal, dass keine Schrotflinte in Sicht war, machte dann einen Hechter auf die kleine Felswand vor mir und sprang so elegant wie möglich auf Kennys Seite wieder runter. Und der nickte, ganz nach dem Motto:

Na also, geht doch! Und dann lief er wieder los. Zielstrebig um den Pool herum und dann auf die Terrassentür zu. Dort angekommen verharrte er noch ein letztes Mal, sah mich nochmals aufmunternd an und lief dann bellend in das Haus. Und ich hoffte wirklich, dass es sein Haus war.

Ich folgte ihm. Und stand kurzerhand in einem fremden, äußerst gemütlich eingerichteten Wohnzimmer.

Und rief sofort, so harmlos und freundlich, wie ich konnte: ``Hallo, ist jemand zu Hause? Ich bin mit Kenny gekommen!``

Ok, das war jetzt ja auch dämlich, dass er wirklich so hieß, war ja an Unwahrscheinlichkeit gar nicht zu übertreffen. Also schob ich schnell hinterher:

``Eh, ich meine, mit ihrem Hund!`` Ich lauschte. Hörte aber nichts. Und Kenny sah ich auch nicht mehr. Dann hörte ich ihn aber. Bellen. Diesmal richtig laut. Und wild. Das Bellen kam von links. Und da war die große, offene Küche. Und jetzt sah ich auch sein mächtiges Hinterteil. Es ragte hinter einer großen Kücheninsel hervor.

Auf diese ging ich zu, dann daran vorbei, und dann sah ich sie beide. Kenny und noch jemanden. Eine Frau. Eine sehr ältere Frau. Und die lag fast regungslos am Boden. Neben einer kleinen Trittleiter, die neben ihr umgefallen zu sein schien.

Schlau, wie ich ja war, raffte ich natürlich sofort, was hier passiert sein musste;

Muttern war von der Leiter gefallen, als sie etwas aus den höher angebrachten Küchenschränken herausholen wollte. Eine der Schranktüren stand sogar noch offen. Das war der Beweis. Bin ich nicht gut? Ok, war ja auch zu offensichtlich.

Ich sah zu ihr herunter. Und ahnte nichts Gutes. Hoffte aber das Beste. Wie immer. Und dann kam die Erlösung. Sie sprach. Schwach, aber sie sprach.

Kenny guckte mich nochmal an, trat dann ein Stück zur Seite, so, dass ich mich nun zu, wohl seinem Mütterchen herunterbeugen konnte. Und das tat ich auch.

Und sah dann in wirklich mütterliche, warmherzige Äuglein. Die aber auch schmerzverzerrt aufgerissen waren. Sie lag auf dem Rücken. Beide Arme auf ihrer Brust gekreuzt. Das rechte Bein war lang ausgestreckt, das Linke allerdings ganz unnatürlich nach außen angewinkelt. An hatte sie pinke Wollsocken, eine dreiviertellange, hellblaue Schlabberhose und ein beigen Wollpulli. Keine Schuhe.

Ihr durch und durch silbrig graues Haar war noch voll, krausig und lockig. Und sie war ziemlich bleich im Gesicht. Sie sah mich an, griff dann mit ihrer rechten Hand nach meiner Rechten und zog mich noch weiter zu sich nach unten.

Und ich musste schon genau hinhorchen, um sie zu verstehen.

``Gut, dass sie da sind, hat George sie geholt? Er ist sooo ein guter Hund, danke, dass sie mit ihm gekommen sind! Ich bin von der blöden Leiter gefallen und hab mir glaube ich mein Bein gebrochen. Auch der Rücken tut mir weh, ich kann mich kaum bewegen. Sowas Dummes, ist mir wirklich noch nie passiert!`` Aha, dachte ich, George also!  Und George saß jetzt gemütlich genau neben mir. Und guckte mich wieder erwartungsvoll an. So, als wäre ich der Notarzt, der ihm gleich die erste Schnelldiagnose offerieren würde.

Ich drückte leicht die Hand der Lady, sah ihr tief in die Augen und erwiderte:

``Hi, ich bin Sullivan, Sullivan Fischer, meine Freunde nennen mich einfach Sully, und ja, George hat mich hergeführt, echt toller Hund. Tun sie mir einen Gefallen, blos nicht bewegen, einfach so liegen bleiben, gerade, wenn sie Rückenschmerzen haben. Ich rufe die Ambulanz. Wie heißen sie, und wie ist die Adresse hier?`` Sie gab mir ein weiteres Lächeln und erwiderte mit zittriger Stimme: ``Schöner Name, darf ich auch Sully sagen? Adresse ist Pembroke Road 2147, ich heiße Emily. Und sie können mich Lilly nennen. Mein Nachnahme ist Meyers. Emily Meyers. Und sagen sie denen, ich bin bestens versichert, alles abgedeckt, sonst kommen die gar nicht erst. Die Karte steckt in meinem Portemonnaie, hinten auf dem Couchtisch!``

Da musste ich doch direkt grinsen. Verging mir aber, als ich in diesem Moment an die damaligen Kosten für meine eigene Krankenversicherung dachte, bevor mein Freund und Geschäftspartner Franco diese großzügigerweise übernommen hatte. Vorsichtig legte ich Lillys Arm wieder auf ihre Brust, zwinkerte ihr nochmal zu und sagte, noch bevor ich mich wieder erhob:

``Klar können Sie mich Sully nennen, und machen Sie sich keine Sorgen, wird alles wieder gut. Versprochen!`` Dann sah ich mich schnell nochmal um, zog dabei aber schon mein Handy aus der Tasche meiner Jogginghose.

Bevor ich aber den Notarzt anrief, lief ich noch schnell zu der bunten Couch hinüber, schnappte mir eines der kleinen, bunten Sofakissen, lief dann wieder zu Lilly zurück, beugte mich wieder über sie, hob ganz vorsichtig mit der einen Hand ihr Köpfchen an und schob gleichzeitig mit der anderen das Kissen unter selbigen.

Dann machte ich den Anruf.

Es hatte keine zwanzig Minuten gedauert, da waren die flotten Herren in Weiß auch schon angebraust gekommen. In der Zwischenzeit hatte ich Lilly noch vorsichtig mit einem Gläschen Wasser versorgt, hatte bei der Gelegenheit auch den Wassernapf von George aufgefüllt und hatte mich selber am offensichtlich frisch aufgebrühten Kaffee von der Filterkaffeemaschine bedient. Natürlich, nachdem ich dafür um Erlaubnis gefragt hatte.

Mit diesem hatte ich mich dann zwischen Lilly und George wieder auf den Boden gesetzt. Und hatte mich von George, wohl aus ehrlicher Dankbarkeit, ausgiebig abschlabbern lassen.

Und hatte mich glaube ich bei der Gelegenheit endgültig in ihn verguckt. Also nicht so jetzt, schließlich war ich überzeugter Hetero und er war wohl auch kein Kerl vom anderen Ufer, nein, einfach als Kumpel. Und das war auch der guten und echt liebenswürdigen Lilly nicht entgangen.

``Na, ihr beide seid euch ja schon richtig ans Herzchen gewachsen. Sie mögen wohl Hunde, lieber Sully!?``

Ich hatte ihr dann erzählt, dass ich auch schon lange vorgehabt hatte, mir endlich wieder einen Hund zuzulegen. Auch, was ich hier so trieb in Fort Lauderdale, also nur die vernünftigen Dinge und nicht meine kleinen gefährlichen Extratouren, und sogar, dass ich seit einiger Zeit eine feste Freundin hatte. Zwar noch in Fernbeziehung, aber auch das sollte sich ja bald ändern. Lilly hatte die ganze Zeit aufmerksam und interessiert zugehört. Gut, was hätte sie auch sonst tun sollen? Weglaufen konnte sie ja nicht. Wie sich herausstellte, war sie sogar schon ein paar Male im Da Franco mit ihrer besten Freundin zum Essen gewesen. Eines der fünf Restaurants und Bars, die ich für meinen italienischen Freund und Geschäftspartner, Flavio Franco managte. Ok, eigentlich nur noch vier, die Bar, Sully`s Nest hatte er mir ja wahnsinniger Weise vor Weihnachten noch überschrieben.

Und das hatte mein Leben hier in Südflorida nochmal fundamental verändert. Gesichert. Beruhigt. Mich noch weiter auf die Sonnenseite des Lebens geschoben. Schließlich hatte ich für den Management-Job für Don Franco, wie ich meinen väterlichen Freund und Halbmafiosi immer nannte, ja vor drei Jahren meine doch vielversprechende Laufbahn als Nautiker bei der Handelsmarine aufgegeben. Und damit auch jegliche Ansprüche auf Rente und Arbeitslosenausgleich. Bereut hatte ich das bis heute aber noch nie.   

Aber auch Lilly hatte mich kurz tief in ihr Leben blicken lassen; Sie wohnte hier alleine, Ehemann schon vor Jahren dahingerafft, arroganter Sohnemann und böse Tochter im fernen Kalifornien, ließen sich kaum blicken, aber sie hatte einen relativ großen Freundeskreis, alle in ihrem Alter, so Mitte, Ende sechzig, und man traf sich regelmäßig zur üblichen Happy Hour und zum Bingo spielen im Country Club.

Ja und George, der war der tatsächlich zweijährige Sprössling ihres erst kürzlich verstorbenen und langjährigen treuen Weggefährten Bobby. Einem Bully-Labrador Mischlings. Ja und der hatte wohl in seinem hohen Alter nochmal den zweiten oder dritten Frühling erlebt und eine Nachbarin beglückt. Eine höchst attraktive Misschlings-Lady, ein Cane Corsomix. Und deren Herrchen, einer ebenfalls älteren Dame, war der üppige Seitensprung ihrer Dame zu viel gewesen, hatte gleich den ganzen Wurf verkauft, Lilly aber hatte es noch gerade geschafft, George vor dem Ungewissen zu retten und ihn sozusagen aus dem Affekt heraus zu sich genommen.

Und dass, obwohl sie eigentlich gar keine Kraft mehr für so einen doch recht anspruchsvollen und bewegungsintensiven Hund gehabt hatte. Geplant hatte sie, sich nur nochmal einen kleinen Pudel oder was ähnliche Fluffiges zuzulegen. Für die gemütlichen Kuschelstunden auf der Couch sozusagen. Bei dieser Erzählung waren bei mir doch gleich Glücksgefühle und kleine Hoffnungsschimmer hochgekommen. Und auch Lilly schien mir die Nummer gerade nicht ganz ohne Hintergedanken erzählt zu haben.

Tja, und als dann auch wenig später von den bemühten Helfern in weiß offiziell festgestellt worden war, dass Lillys rechtes Bein tatsächlich gebrochen war und auch ihr Rücken schnellstens untersucht werden musste, sie also definitiv für einige Zeit ins Krankenhaus musste, ja da hatte mich die freundliche Dame doch ganz spontan und mit einem breiten Grinsen gefragt, ob ich mich denn nicht erstmal um George kümmern könnte. Ihn mit zu mir nehmen könnte, also mit allem, was so dazu gehörte. Natürlich liebte sie ihn abgöttisch, aber sie könnte sich momentan keinen besseren Vormund für ihn vorstellen…

Und was soll ich Ihnen sagen? Das konnte ich auch nicht. Auch versprach ich, formell ihre Tochter und auch noch eine ihrer besten Freundinnen zu informieren, was passiert war und wo sie jetzt war.

Und ob Sie es glauben oder nicht, sie gab mir sogar einen Zweitschlüssel für ihr Haus. Und ich versprach, sie am nächsten Tag zusammen mit George im Krankenhaus zu besuchen. Und sie auch wieder abzuholen, wenn man sie wieder entlassen würde.

Und wieder tja, so schnell kommt man also zu einem Hund. Und zu was für einen! Nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen, ich ging zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht davon aus, dass mir Lilly den Dicken nun ganz überlassen würde, dafür hing sie nur zu offensichtlich auch an dem Kerl, und auch ich würde mir den Part als Fulltime-Daddy nochmal tierisch durch den Kopf gehen lassen, aber wer weiß, erstmal zeitweise, und dann irgendwann…

Als der Krankenwagen mit Lilly verschwunden war, packte ich noch kurz ein paar von Georges persönlichen Utensilien nach Vorgabe von Lilly zusammen, verschloss alle Fenster und Türen im Haus und machte mich dann mit meinem neuen Kumpel auf den Heimweg. Und wusste auch, wo ich denn gleich erstmal hinfahren musste.

In den nächstgelegenen Pet-Store. Leckerlies und Fressen für George besorgen.

Nicht nur für George, heute Abend würde ich uns beiden erstmal ein geiles Steak auf den Grill hauen. Die Gedanken daran, dass ich George eventuell irgendwann ganz zu mir nehmen würde, wie ich denn dann mein Leben, meine Arbeit und die Reiserei nach New York zu Natalie mit George und der dazugehörigen, neuen Verantwortung vereinbaren könnte, verdrängte ich erstmal. Ja und wenn, dann hatte ich ja auch noch richtig gute Freunde, Kenneth, Nick und Dominic. Die würden sich bestimmt alle nur so darum reißen, sich mal ab und zu um George kümmern zu dürfen. Natürlich, dachte ich, die ganz bestimmt…

Und Sie denken jetzt bestimmt, was ist das denn blos verkehrt mit dem Bengel, endlich könnte er vielleicht seinen Traumhund bekommen und schon überlegt er, wohin er das arme Schwein wieder abschieben kann! Beziehungsweise den armen Hund.

Nein, nein, bitte nicht falsch verstehen, ich war eben einfach nur praktisch veranlagt und ehrlich, sollte mir Lilly den Lümmel tatsächlich anbieten, er mich auch wollen, dann müsste schon so einiges passieren, bevor ich mich wieder von ihm trennen würde.

Zu dem Zeitpunkt wusste ich allerdings auch noch nicht, welcher Anruf mich schon einige

Tage später ereilen würde…




2

Fast zur selben Zeit…

Downtown Key West, Süd-Florida, irgendwo in einer Seitengasse…

 

Äußerst bedacht darauf, von niemanden, der ihn kannte, gesehen zur werden, war der recht korpulente und auch nicht mehr jüngste Herr gerade am nördlichsten Ende der berühmten Duval Street in Key West abrupt nach links in eine, zu dieser frühen Morgenstunde noch düstere Seitengasse eingebogen. Zu Fuß. Mit langen und zügigen Schritten. Offensichtlich hatte er es eilig. Bekleidet mit einer weißen kurzen Hose, weißen Sportsocken und weißen No-Name Sneakern. Den Oberkörper verhüllt in einem hellblauen Windbreaker mit Kapuze. Und diese hatte sich der Alte auch fast gänzlich über seine dicke Birne gestülpt. Die enge Gasse war rechts und links begrenzt durch ca. sechs Meter hohe Hauswände, der so für Florida typischen zweigeschossigen Flachbauten, die ihre ursprüngliche Farbe schon verloren hatten und auch so schon ziemlich heruntergekommen wirkten. In regelmäßigen Abständen waren an diesen große, ebenso heruntergekommene Müllcontainer gestellt, allesamt schon randvoll gefüllt, was zur Folge hatte, dass auch der betonierte Boden der Gasse mit allerlei Restmüll übersäht war. Teils noch in zerrissenen Tüten, oder auch einfach so weitläufig verstreut. Sah richtig slummäßig abgefuckt aus. Daher auch der extrem üble Gestank, der den Herrn, den man in so einer Gegend eigentlich nicht vermutet hätte, wohl dazu brachte, auch sein Näschen tief in seinem Jäckchen zu vergraben.

Plötzlich stoppte er und blieb exakt vor einer alten, ziemlich verrosteten, schwarzen Stahltür, verankert in einer der Häuserwände, stehen. Noch ein kurzer Blick nach rechts und links, und dann klopfte er. Und musste auch nicht lange warten, bis die Tür mit einem lauten Knarren nach außen hin aufgestoßen wurde. Fast hätte sie ihn sogar getroffen und umgehauen, wäre der Mann nicht noch reaktionsschnell mit einem Ausfallschritt nach links gehüpft.

Ohne, dass man irgendjemanden hinter der Tür erkennen konnte, trat der Typ jetzt ein, erst ein wenig zögernd, dann aber mit einem schnellen Schritt ins dunkle. Sofort wurde die Tür wieder von innen zugezogen.

Und dann geschah erstmal nichts. Jedenfalls nichts, was man hätte von außen sehen oder hören können. So vergingen schließlich gute zehn Minuten, bis die Tür plötzlich wieder geöffnet wurde.

Und diesmal sah man auch von wem; Von einem mächtig wirkenden Typen, seiner Hautfarbe nach zu urteilen, einem Hispano, dicker Kopf mit Glatze, Muscle-Shirt, kurze, schwarze Jog-Pens, schwarze, bullige Sneaker und die sichtbare Haut fast völlig durchtätowiert.

Das Ebenbild eines Gangmitgliedes aus den brasilianischen Favelas. Oder irgendwie so. Und dieser Typ verabschiedete nun den immer noch Vermummten, der wieder nach draußen getreten war, nun aber noch neben dem Kräftigen verharrte.

Und sowas wie eine Standpauke über sich ergehen ließ. Von dem Bösen. Denn so sah er wirklich aus; richtig böse. Und so sprach er auch zu dem jetzt sichtlich Eingeschüchterten. Mit drohendem Blick, Fingergestupse auf die Brust des Alten, allerdings in einem extrem leisen Ton. Denn zu hören war er nicht.

Das Ganze dauerte nur ca. zwanzig Sekunden, dann verstummte der Große, wandte sich abrupt von dem stillen Zuhörer ab, betrat wieder das Innere des Hauses und zog mit einem lauten Knall die schwere Tür hinter sich zu. Und den konnte man bis zur Hauptstraße hören. Was den Mann gleich dazu bewegte, sich seine Kapuze noch tiefer in die Visage zu ziehen. Um dann mit wieder schnellen Schritten die Gasse hinunter und zurück auf die Duval Street zu galoppieren. Nun sah man auch, dass der Eilige plötzlich eine ziemlich kleine, schwarze Sporttasche, ein sogenanntes Dufflebag, unter seinem rechten Arm trug und diese dabei irgendwie verbergen wollte. Aber wo hatte der Gute das Täschchen denn plötzlich her? Wohl von seinem netten Kumpel aus dem Bunker. Er hatte die also da abgeholt. Und was war drin? Bestimmt kein Trainingsanzug und Ballettschühchen. Dafür wirkte die ganze Nummer hier viel zu düster.

Der Mann lief Richtung Süden, also Richtung Marina, und wich dabei schon fast hektisch den schon zahlreichen Touris auf dem Gehweg aus. Sah fast schon aus, als würde er einen Slalomlauf vollführen. Und das auch noch gewollt. Dann entspannte sich seine Gangart aber komischerweise plötzlich wieder, so, als hätte bei ihm einer einen Schalter umgelegt. Er schlenderte nun schon fast gemütlich, schien sich auch auf einmal für die kleinen Geschäfte und Cafés auf seiner Straßenseite zu interessieren. Und dann blieb er stehen. Vor der echt bekannten und beliebten Jimmy´s Bar. Diese war aber auch tagsüber ein Café, welches Frühstück und sogar einen kleinen Mittagstisch anbot, und welches somit jetzt, um kurz vor halb neun, schon geöffnet hatte.

Frühstücken wollte der bis eben so Gehetzte aber offensichtlich nicht; er betrat zwar die Terrasse des Lokals, ging dann aber gleich weiter hinein in den eher dunkleren und fast menschenleeren Barbereich.

Dieser bestand aus vielen rustikalen Holztischen und Stühlen, einer kleinen Bühne worauf sogar ein Schlagzeug stand, und einer langen, urig aussehenden Holz Bar. Und vor dieser platzierte sich der Alte nun. Und wartete geduldig, bis sich ein recht junger, wohl noch sehr müder, oder auch noch verkaterter Barmann zu ihm bemühte und seine Bestellung aufnahm. Und die war kurz;

Ein kurzer. Also ein Shot, wie die Amis sagen. Ein Shot von irgendwas Hartem. Und davon genehmigte sich der einsame Bar Gast gleich drei hintereinander und auf Ex. Danach warf er dem leicht Erstaunten ein paar Dollarscheine entgegen und verließ die Bar wieder. Und schlenderte weiter Richtung Süden. Und wirkte jetzt wirklich sichtlich entspannter. Kein Wunder, nach so einem Frühstück…

Immer noch vermummt und das Täschchen unter dem Arm geklemmt, blieb er fast am äußersten und südlichstem Ende der Flaniermeile stehen, guckte sich nochmal zu allen Seiten um, wirkte jetzt wieder leicht nervös und bog dann nach links ab. Geradezu auf das seit Jahren gut etablierte Marriott Hotel. Dieses war allerdings keinesfalls ein gewaltiges Hochgebäude, nein, es wirkte eher wie eine übergroße Blockhütte, welches wohl gerade den Charm des Hauses ausmachte. Tja, und von der Höhe überragt wurde die noble Herberge von einer dahintergelegenen, schneeweißen Wand mit vielen kleinen, eingefassten Fenstern und Balkonen. Einem imposanten, riesigen Kreuzfahrtschiff. Das Hotel lag nämlich zur Seeseite hin fast direkt an der einzigen, langen Hafen-Pier in diesem Stadtteil, an der so ein Ozeanriese festmachen konnte. Und der war auch das Ziel unseres vermeintlichen Sporttaschenboten. Links am Hotel vorbei, hindurch durch ein größeres Stahltor, ging der Alte schnurstracks auf die Pier und auf die heruntergelassene Gangway des Schiffes zu. Blieb dann genau davor und neben einem kleinen, blauen Standzelt stehen, begrüßte den in marineblau gekleideten Mann, der offensichtlich zur Gangway-Wache eingeteilt war, zerrte mit seiner freien, linken Hand irgendetwas aus seiner Windjacke hervor und streckte es dem respektvoll Lächelndem entgegen. Fast im gleichen Moment setzte er sich auch schon wieder in Bewegung, betrat, besser gesagt, bestieg die Gangway, bewegte sich dann zügig nach oben, nahm sogar immer zwei der flachen Stufen auf einmal und zerrte sich dabei schon fast wild die blaue Windjacke samt Kapuze vom Körper.

Fast schon geschickt wie ein Zauberkünstler, wickelte er beim Aufstieg und während er sich die Jacke über die Arme streifte, die kleine Sporttasche darin ein und klemmte sich nun das Gesamtpakte wieder unter den rechten Arm.

Oben an Deck angekommen sah man nun auch die weißgraue, aber noch volle Haarpracht des Mannes, man sah auch, dass er nicht nur weiße Shorts, sondern auch ein kurzärmeliges, weißes, geknöpftes Hemd trug.

Was aber wohl am meisten auffiel und was jetzt, jetzt, als er schon fast im inneren des Schiffes verschwunden war, gerade noch so die ersten Sonnenstrahlen reflektierte, das war das, was sich rechts und links auf beiden Seiten, auf seinen Schultern befand.

Angesteckt an seinem weißen Hemd;

Zwei schwarze Epauletten mit jeweils vier breiten, goldenen Streifen darauf…

ENDE LESEPROBE KAPITEL I & II


Die gesamten bisherigen Werke, by Eddy Cane

Die gesamten bisherigen Werke,    by Eddy Cane

ERPRESST

Ein Sullivan Fischer

Roman

DER BOSS

Ein Sullivan Fischer

Roman

DER OFFIZIER

Ein Sullivan Fischer

Roman

  CHASED - GEJAGT

Ein sullivan fischer

                              Roman

 c o m i n g  s o o n !

ERPRESST

Ein Sullivan Fischer
                  Roman

         DER BOSS

Ein Sullivan Fischer
                  Roman

     DER OFFIZIER

Ein Sullivan Fischer
                  Roman

 CHASED - GEJAGT

Ein sullivan fischer
                  Roman
       c o m i n g  s o o n !